Ihr kennt das ja schon. Etwa einmal im Monat stellen wir uns gegenseitig einen Bildband oder ein Fotobuch vor. Manchmal sind es bekannte Namen, manchmal sind es auch unbekanntere Fotograf:innen. Aber dieses Mal haben wir beide zwei ganz großen Namen aus der Kiste geholt: Die meisten von Euch werden mir recht geben, wenn ich Henri Cartier-Bresson als den wohl wichtigsten Fotografen des letzten Jahrhunderts bezeichne. Weil er um die Welt reiste und dabei immer wieder die entscheidenden Momente einfing. Sein Werk ist extrem umfangreich und umfasst unter anderem Reportage-, Portrait- und die Street Fotografie. Thomas wählte die Fotografin Vivian Maier. Sie ist erst posthum berühmt geworden, aber ihr Nachlass beeinflusst Street Fotograf:innen auf der ganzen Welt. Unabgesprochen haben wir Beide also dieses Mal zwei sehr sehr bekannte Fotograf:innen ausgesucht.
Warum habe ich Cartier-Bresson gewählt? Im Hamburger Bucerius Kunst Forum findet noch bis Mitte September die Ausstellung „Watch! Watch! Watch!“ statt, die umfassendste Ausstellung seit vielen Jahren. Der begleitende Bildband enthält auf 288 Seiten 240 Aufnahmen und umfassende Textpassagen zum Leben und Schaffen von Cartier-Bresson. Für mich der perfekte Anlass, Euch (und Thomas) den gleichnamigen Katalog „Watch! Watch! Watch!“ in unserer elften Podcast Folge zum Thema „Schwarzweiß“ vorzustellen. Von Cartier-Bresson stammt schließlich der Ausspruch „Schwarzweiß sind für mich die Farben der Fotografie“.
Über Henri Cartier-Bresson
Auch wenn sicherlich die Meisten von Euch Henri Cartier-Bresson kennen, möchte ich Euch ein paar Sätze zu ihm als Person und zu seiner Fotografie geben. Cartier-Bresson, geboren am 22. August 1908 im französischen Chanteloup-en-Brie hatte ein große Affinität zur Kunst und zur Malerei. Seine erste Kamera war eine Kodak Box Bronwie, stieß dann schließlich aber auf Leica, mit deren Kameras er bis an sein Lebensende fotografierte. Fortan reiste er um die Welt und hielt dabei flüchtige Momente und Szenen des alltäglichen Lebens fest. Er glaubte daran, dass der Fotograf im richtigen Moment am richtigen Ort sein musste, um die Essenz einer Szene einzufangen. Ihr wisst es, er prägte den „decisife moment“.
Ein zentraler Aspekt seines Stils war der Verzicht auf Blitzlicht und inszenierte Aufnahmen. Stattdessen bevorzugte er natürliche Lichtverhältnisse und spontane Kompositionen, die das wahre Leben widerspiegelten. Er pochte auch immer wieder darauf, dass Bilder so reproduziert werden sollen, wie sie aufgenommen werden. Also, dass zum Beispiel nicht beschnitten werden und es generell auch keine (natürlich analoge) Nachbearbeitung geben solle. Für viele Kenner:innen sind diese Prinzipien ein Grund dafür, dass wir in seinen Bildern eine besondere Authentizität und Intensität wahrnehmen (ein Umstand, der übrigens immer wieder in Frage gestellt wird).
1947 gründete er gemeinsam mit Robert Capa, David Seymour und George Rodger die Fotoagentur Magnum Photos. Cartier-Bresson war unter anderem für Reportagen aus dem asiatischen Raum zuständig; seine Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen weltweit gezeigt und in bedeutenden Magazinen veröffentlicht. Einige seiner bekanntesten Werke umfassen ikonische Einzelbilder wie das des Mannes, der über eine Pfütze springt („Derrière la Gare Saint-Lazare“, 1932 – siehe auch unten) aber vor allem auch Reportagen. Hier fallen mir als erstes die Bilder aus Moskau ein oder die Reportagen aus Indien von Mahatma Gandhi.
In den späteren Jahren seines Lebens wandte er sich zunehmend (wieder) der Malerei zu, blieb jedoch der Fotografie stets verbunden. Er verstarb am 3. August 2004 in Montjustin, Frankreich. Sein Vermächtnis lebt weiter durch seine beeindruckenden Werke, die bis heute faszinieren und inspirieren. Henri Cartier-Bresson hinterließ eine reiche Sammlung von Bildern, die die Schönheit und Komplexität der menschlichen Existenz in einem einzigen, entscheidenden Augenblick einfangen. Und genau davon handelt der Bildband „Watch! Watch! Watch!“.
Blick in „Watch! Watch! Watch“
Wie gewohnt starte ich mit dem Cover des im Juni erschienen und 22,5 x 28 cm großen Bildbandes „Watch! Watch! Watch!“. Wir sehen eine Aufnahme, die während der Krönung des englischen König Georges VI. entstanden ist. Im Buch selbst ist eine über sechs Seiten abgebildete Serie von dieser am 12. Mai 1937 statt findenden Krönung enthalten. Sie bietet alleine schon eine faszinierende Übersicht, wie er schon im frühen Teil seiner Laufbahn fotografierte. In dieser Serie lichtete er eben nicht die Krönung selbst ab, sondern wie die Zuschauer die Krönung verfolgen. Wir sehen eine Reportage über Menschen, die Periskope in der Hand halten oder eben wie auf dem Cover, die getragen werden, um eine bessere Sicht zu bekommen.
Vor allem das Frühwerk Cartier-Bressons ist geprägt vom Surrealismus. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist der Vorhangknoten, der direkt über dem Gesicht des zeitunglesenden Mannes hängt (aufgenommen 1933 in Livorno, Italien). Es zeigt sich auch hier, dass Bresson in seiner Anfangszeit eben eher die Einzelaufnahmen tätigte und erst in den späteren Jahren im Rahmen seiner Reportagen ins sequentielle Fotografieren überging. All das könnt Ihr auch wunderbar in diesem Bildband nachvollziehen.
Sein heute wohl bekanntestes Bild habe ich oben schon erwähnt. „Derrière la Gare Saint-Lazare“ zeigt einen Mann, der in Paris über eine Regenpfütze springt. Es ist der viel zitierte entscheidende Moment, den er hier beispielhaft einfängt. Quasi eine Blaupause für die heutige Street Fotografie, nicht weil er einen Hut trägt, sondern weil es eben diese Vergänglichkeit ist, die das Bild per se schon zeigt. Eine Aufnahme, die eben nur diesen einen Moment festhält. Auch die Macher des Bildbandes haben diesem Bild einen ganz besonderen Stellenwert eingeräumt, schließlich steht es auf dieser Doppelseite ganz alleine – eine Seltenheit in diesem Bildband, der eher durch zu viele Bilder (und Texte) als durch zu viel Weißraum verdächtig werden könnte.
Als erste Doppelseite habe ich mir Aufnahmen vom geteilten Berlin herausgesucht. Cartier-bresson dokumentierte 1962 auch die gerade errichtete Berliner Mauer – eine seiner typischen Reportagen. Wir sehen hier spielende Kinder, aber eben auch Personen, die in irgendeiner Form eine Interaktion mit der Mauer haben. Ob es der wohl kriegsversehrte Mann ist oder ganz ikonisch, die drei Männer, die auf einem Stromkasten stehen und gemeinsam in den Osten schauen. Die dokumentarische Qualität dieser Bilderserie soll stellvertretend sein, für das was Ihr im Buch noch sehen könnt, von Reisen durch die ganze Welt.
In der Ausstellung und dem Bildband befinden sich auch Aufnahmen aus Hamburg. Klar, dass ich die Euch nicht vorenthalten möchte. Es ist eine durch die Kriegszerstörungen geprägte Stadt, Ihr seht einen Mann, der nach Arbeit sucht, aber auch die sogenannten „Nissen“, Wellblechhüten, in denen Hamburger:innen lebten, die ihr zuhause verloren hatten. Über dieser Doppelseite wacht gewissermaßen Bismarck. Er thront als größtes Personendenkmal Deutschlands über der Stadt, die erst langsam wieder aufgebaut wird. Bismarck steht dort noch heute, aber sein Denkmal ist umstritten wie nie zuvor.
Eine Doppelseite davor ist ein schönes Beispiel zu sehen, wie Cartier-Bressons Fotografien in die Pressebericht Erstattung Einzug fand. Im April 1954 erschien im amerikanischen Magazin „Fortune“ ein Artikel über Hamburg mit Cartier-Bressons Bildern. Schaut Euch den Titel an, er lautet „The New York of West Germany“. Und auch der dazugehörige Text dazu ist mehr als lesenswert:
„Hamburg […] is working and hoping for a splendid future in a peaceful world of expanding trade. It is independent and gay, cultured and religious, rough and wicked, tolerant and urbane, and full of energy. Built around the Alster, a large lagoon off the River Elbe, Hamburg is also pleasant to be in. Although large areas are still to be rebuilt, the visitor can scarcely believe the city was a pile of wreckage eight years ago.“
Damit bleibt mir nur auf die Ausstellung an sich hinzuweisen. Es ist die wohl beste Gelegenheit, das Gesamtwerk von Cartier-Bresson in Augenschein zu nehmen. Wenn Ihr nicht nach Hamburg kommen könnt, dann holt Euch diesen Bildband dazu. Er kann im Buchhandel bestellt werden und ist auch direkt über den untenstehenden Affiliate Link von Amazon zu bekommen. Oder aber Ihr reist ab Oktober nach Madrid, hier soll bis Januar 2025 die Ausstellung „Watch! Watch! Watch!“ zu sehen sein.
⚡ Links zur Folge „Watch! Watch! Watch“ von Henri Cartier-Bresson
- Blogbeitrag zur Vorstellung von Thomas: „Street Photographer“ von Vivian Maier. Und hier könnt Ihr das Buch kaufen (Amazon Affiliate)
- Watch! Watch! Watch! von Henri Cartier-Bresson bei Amazon (Amazon Affiliate)
- Im Shop der Ausstellung wurde bereits die Neuauflage des Klassikers „The Decisive Moment“ von Henri Cartier-Bresson von 1952 zum Kauf angeboten. Das Buch erscheint eigentlich erst am 10. September 2024. Ihr könnt es hier vorbestellen (Amazon Affiliate).
- Cartier-Bressons Film-Dokumentaton über Kriegsgefangene „Le Retour“ von 1946 könnt Ihr auf YouTube sehen
- Und hier findet Ihr alle meine Notizen der Fotobuch Plauder Ecke
Den Podcast und die anderen Folgen der Fotobuch Plauder Ecke findest Du bei Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer und allen gängigen Plattformen. Und zusätzlich bei YouTube als Video Podcast. Damit Du keine Folge verpasst, lass gerne ein Abo auf der Plattform Deines Vertrauens da!
Eine Bonusfolge zu in dieser Episode auch angesprochenen Rollei 35 AF haben wir diese Woche veröffentlicht. Hier kannst Du den Bericht sehen und hier die Folge auf YouTube.
Bilder zur Ausstellung in Hamburg
Im Folgenden auch ein paar Impressionen der Ausstellung im Bucerius Kunst Forum in Hamburg. Hier geht es zur Infoseite zur Ausstellung (noch bis 22. September 2024).
Ihr macht das richtig gut, auch wenn es dieses Mal dann doch eine Idee zu lang war. Je Buch sollte das nicht länger als fünfzehn Minuten sein, sonst schalte ich dann ab. Aber trotzdem natürlich: Kompliment und ich freue mich schon auf die nächsten Folgen.
Lieben Dank. Konstruktive Kritik ist immer willkommen. Uns ging es im Nachgang selbst auch so und wir arbeiten daran, etwas kürzer zu werden… LG und Danke!