Zu meinem 40. Geburtstag habe ich doch tatsächlich eine voll funktionsfähige Kamera bekommen. Keine Digitalkamera, aber auch keine herkömmliche analoge Kamera. Sondern eine Lochkamera mit dem Namen „503“ aus Pappe, sogar als Bausatz. 503 ist dabei auf den Raum G 503 in der Schule für Gestaltung in Basel zurückzuführen. Die Studentin Lorelei Grazier hatte diese Kamera unter der Betreuung von Peter Olpe 1997 entwickelt. Einige Jahre wurde die 503 von der Lindemanns Buchhandlung vertrieben (inzwischen ausverkauft, hier geht es noch zur Bestellseite). Und genau dieses „Ding“ steht an meinem Geburtstag auf meinem Gabentisch – geschenkt von meinem Freund Uwe!
Experiment #1: Die Lochkamera 503
„Ding“ trifft es ganz gut, schließlich ist es – einmal zusammengebaut – nur ein Pappkarton. Natürlich ohne Sucher, Elektronik oder gar einem Objektiv. Nicht mal einen Gurt kann man hier anbringen. Entsprechend ungewohnt ist auch das Fotografieren. Man positioniert die Schachtel in Richtung Motiv, spult den Rollfilm vor und schiebt mit der rechten Hand vorsichtig (und ruhig!) eine Lasche nach rechts. Damit wird die Öffnung entriegelt und Licht gelangt auf den Film. Und zwar solange, bis die Lasche wieder zurück geschoben wird.
Nun ist die Öffnung so winzig, dass die Blende super klein ist, die Blendenzahl also super groß. Sie ist nicht genau angegeben, aber in der Bedienungsanleitung wird bei einem Film mit ISO 200 und starker Bewölkung schon 40 Sekunden als korrekte Belichtungszeit empfohlen – zurückgerechnet müsste die Blende also etwa ganz grob irgendwo jenseits der 80 liegen. Blende 80? Ihr könnt Euch vorstellen, dass man sich während des Fotografierens wirklich zurück lehnen kann, zumal ich mit 400er Filmen bei Sonnenschein fotografiert habe. Dagegen ist Angeln reinster Extremsport.
Und was aus so einer Pappkamera herauskommt, ist schon erstaunlich. Es ist mein erster Rollfilm überhaupt, den ich da belichte und damit auch meine erste Mittelformatkamera. Eingescannt habe ich sie selbst, mit meinem Canon 9000F Mark II, und den Rand mit der Filmbeschriftung habe ich natürlich absichtlich stehen lassen. Das gibt den Bildern noch das gewisse Extra, finde ich.
Bilder mit der Lochkamera 503
Von diesen „Erfolgen“ angefixt, beschäftige ich mich immer mehr mit der Lochkamera-Fotografie. Es ist ja eigentlich auch die Urform unserer heutigen Fotografie. Schon vor 1.000 Jahren wurde auf dieser Art und Weise versucht, Bilder einzufangen, wenngleich auch nur als Projektion und nicht auf einem Träger wie auf dem heutigen Film. Was ich jedoch lernen musste, ist die Kamera wirklich „ruhig zu halten“ – bei dieser Art der Fotografie natürlich ein schwieriges Unterfangen, schließlich muss der Schieber händisch hin und hergezogen werden. Und daher war ich gedanklich schon auf der Suche nach einer etwas professionelleren Lochkamera.
Experiment #2: Die LeRouge 66
Wie der Zufall es will, sollte mir schon wenig später eine solche Kamera quasi vor die Füße fallen. Im Winter waren Uwe und ich auf der Europäischen Kamerabörse in Hamburg-Wilhelmsburg. Berge von alten Kameras liegen hier herum, das Durchschnittsalter der Besucher:innen bewegt sich weit jenseits der 50, wenn nicht sogar der 60. Da ist es passend, dass die Veranstaltung im Bürgerhaus stattfindet, dem Senioren-Treffpunkt des Stadtteils. Hin und wieder sind auch ein paar Student:innen anzutreffen, die die analoge Fotografie wieder entdecken. Die Generation dazwischen fehlt irgendwie, aber dafür sind wir ja da.
Hier stoßen wir am Stand von MK Camera Systeme auf die Lochbildkameras von LeRouge. Für verschiedene Filmformate und in verschiedenen Farben produziert der Franzose Philippe Leclerc diese Lochkameras von Hand. Optisch sind sie wirklich fantastisch anzusehen, schließlich sind die Kameras auch aus Holz. Wie so oft, kann ich an solch schönen Dingen nicht vorbeigehen und so ist es kein Wunder, dass wir beide eine solche Lochkamera kaufen. Mein Exemplar ist Schwarz für 120er Rollfilm im 6×6 Format. Für um die 100 Euro erstehe ich dieses Modell – als Neuware.
Am Lochkamerastand lernen wir dann auch noch Oliver Rolf kennen. Wie sich später herausstellen wird, ist er so etwas wie der Papst für analoge Fotografie und insbesondere Filmentwicklung in Hamburg. Bei ihm werden wir auch gleich die ersten beiden Filme entwicklen lassen. Und nach dem Blick auf die ersten Shots, bitte ich ihn auch um seine Experteneinschätzung, die ich Euch natürlich auch weitergeben möchte:
Die Bilder sind ok, die Schärfe wird ja durch die Lochblende bestimmt…ich mag“ diese Löcher“ sehr gerne … oftmals sind Pinholes noch unschärfer. Ich gebe Euch noch zwei kleine rote Folien mit, die könntet Ihr hinten in die Kamera einkleben. Dort, wo die Bilderzahl abgelesen wird, gibt es manchmal Lichteinfall. Thema : Langzeitbelichtungen und Schwarzschildeffekt wäre vielleicht noch was …. kann ich gerne mal erklären.
(Oliver Rolf)
Warum ich diese Einschätzung eingeholt habe? Schaut Euch die Bilder an, sie sind nicht so richtig scharf. Es ist wie schon bei der 503 auch bei der LeRouge 66 wirklich schwierig, die Kamera still zu halten, wenn die Auslöserkappe bedient wird (und Ihr seht auch auf den Bildern, dass ich die nicht immer komplett aufgeklappt hatte … ). Und teilweise auch etwas zu dunkel.
Genau das meint Oliver mit dem „Schwarzschildeffekt“. Vereinfacht gesagt muss bei extremen Langzeitbelichtungen „noch länger“ belichtet werden als der Belichtungsmesser dies vorgeben würde. Und wir reden bei der LeRouge immerhin über eine Blende mit dem Wert 150! Da kann man das „noch länger“ belichten doch auch mal vergessen …
Aber seht selbst, das Fotografieren mit der LeRouge macht riesig Spaß. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Und man wird auf der Straße auch ständig angesprochen. Vielleicht konnte ich Euch mit diesem kleinen Einblick inspirieren. Ich werde auf jeden Fall noch weiter fotografieren und lernen – mit der Lochkamera!