Eine Offenblende von 0,95? So lichtstark, dass man quasi im Dunkeln fotografieren kann? Und klasse freistellen kann? Noch zum Dumping Preis? Das verspricht der chinesische Objektivhersteller 7artisans seit Neuestem auch für das Fuji X System.
Kenner rechnen natürlich sofort um: An einem Fuji APS-C Sensor würde aus dem 7artisans 35mm F0.95 ein 52 Millimeter Kleinbild äquivalent werden – was die Brennweite beträfe. Die Lichtstärke von F0.95 bliebe natürlich erhalten. Und von der Bildwirkung in punkto Schärfe/Unschärfe – gemessen am Vollformat – wäre eine Offenblende von F1.5 zu erwarten.
Unterm Strich also eine Performance, die in dieser Form kein Fuji Objektiv bieten kann. Und jetzt kommts – das alles sehr kompakt und für keine 200 Euro. Sollte ich im Konjunktiv bleiben oder trifft das wirklich alles zu?
Klar, dass ich das testen musste!
Woher kriegt man nun das 7artisans 35mm F0.95?
7artisans ist beileibe keine allzu bekannte Marke, zumindest nicht in Europa. Für Deutschland hat der Fotohändler BIG die Distribution inne, aber natürlich gibt es das Objektiv auch bei Amazon oder bei anderen (Online-) Händlern. Der Preis liegt hier bei 269 Euro und Du hast das Objektiv gewohnt schnell in den Händen.
Sparfüchse bestellen indes für 249 US Dollar bei Pergear und nutzen einen Promocode. Damit kommt man umgerechnet auf einen Preis von etwa 195 Euro, wartet dafür aber mit 15-28 Werktagen etwas länger, denn die Lieferung kommt aus China (alle Preisangaben im Februar 2021 – die Links inklusive Hinweis zum Promocode finden sich unten).
Haptik
Seit eineinhalb Jahren besitze ich schon ein 7artisans Objektiv, nämlich das 7.5mm F2.8, ein Fischauge. Ich habe es nicht wirklich häufig eingesetzt, doch aufgrund der bisherigen Erfahrungen bin ich nicht überrascht, dass sich das 35mm F0.95 ebenfalls relativ schwer und äußerst wertig anfühlt. Schwer, weil eine Menge Glas verbaut ist, das liegt bei einer Offenblende von F0.95 nahe. Indes wird für Nichtkenner:innen von 7artisans die Wertigkeit doch überraschend sein, angesichts des niedrigen Preises. Hier gibt es aber nichts zu meckern. Das Objektiv überzeugt optisch und haptisch auf ganzer Linie.
Die Fokussierung ist ebenso angenehm wie die Bedienung des Blendenrings. Ihr kennt das Spiel: Videograf:innen wünschen sich eine stufenlose Blende, Fotograf:innen wollen das Klicken. Beides geht nun mal nicht. In diesem Fall werden sich die Videograf:innen freuen, auch ich hätte lieber einen klickbaren Blendenring, aber auch mit dem stufenlosen Verstellen kann ich leben.
Mit dabei ist ein Objektivtäschchen, nicht jedoch eine Gegenlichblende.
Bedienung
Sowohl der Blendenring als auch der Fokussierring laufen butterweich. Es macht wahnsinnig viel Spaß, damit zu arbeiten. Gerade beim scharfstellen – was bei der geringen Schärfentiefe wirklich eine Herausforderung ist – kommt es mir zugute, dass ich wirklich Millimeter genau den Fokus setzen kann. Damit das klappt, nutze ich das Fokus Peaking. Sowohl an der X-T3 als auch an der X-Pro 2 funktioniert das einwandfrei. Und falls das noch nicht klar sein sollte, einen Autofokus gibt es bei 7artisans nicht. Für Fuji bieten das als Fremdhersteller derzeit nur Zeiss und Viltrox/Tokina an – für insgesamt sieben Objektive. Sigma und Tamron könnten dieses Jahr noch folgen, so die Gerüchteküche.
Manuell fokussieren ist aber generell kein Problem. Ich bin es gewohnt von Samyang Linsen, aber auch von adaptiertem Altglas. Was beim 7artisans 35mm F0.95 aber wirklich nervt ist die Anordnung von Fokus- und Blendenring. Die Blende wird an am vordersten Ende des Objektivs eingestellt, die Schärfe in der Mitte dahinter. In meiner Welt also genau umgekehrt wie bei den Fuji Linsen oder vielen anderen mit einem manuellen Blendenring. Mir fallen nur die Voigtländer und die ganz kompakten Leica Linsen ein, bei denen das ganz vorne ist, nicht aber den Objektiven, die ich nutze. Und so kommt es, dass ich beim Fokussieren dauernd die Blende verstelle.
Man könnte nun einwenden, dass man sich daran gewöhnen könne. Ich habe mehrere Tage mit dem 7artisans 35mm F0.95 fotografiert, aber es ist mir immer wieder passiert. Erstens nervt das und zweitens verstehe ich den Sinn dahinter nicht. Vielleicht siehst Du das anders und für Dich ist es kein Thema – dann wäre mein einzig echter Kritikpunkt damit schon abgehakt.
Insgesamt passt das Objektiv äußerst gut an meine X-Pro 2. Die manuelle Bedienung schmiegt sich äußerst gut an die Zurückhaltung der Pro-Serie und deren „analoges“ Gefühl.
Bildqualität
Was aus dem Objektiv herauskommt ist erste Sahne. Natürlich fotografiere ich zu 99% offenblendig. Nicht weil es muss und weil es bei jeder Aufnahme Sinn macht, sondern ganz einfach weil ich es kann. Und weil ich das Objektiv ja gerade bei F0.95 testen möchte. Sonst könnte ich ja auch ein ganz normales 35mm von Fuji nehmen – dazu unten mehr.
Fangen wir mit dem subjektiv gesehen am Wichtigsten an: Dem Bokeh. Das ist wirklich traumhaft schön. Eine weiche Unschärfe, die ich als äußerst angenehm, ja eben schön empfinde. Und das ist erwähnenswert, weil gerade die sehr günstigen, offenblendigen Objektive über ein unruhiges, harsches Bokeh verfügen. Und beim 7artisans 35mm F0.95 bin ich hier sehr positiv überrascht worden.
In die Bilder kann ich reinzoomen. Die Schärfe (manuell gesetzt) sitzt in 90% aller Fälle. Die Farbwiedergabe ist einwandfrei und die Vignettierung ist für mich kein Problem, die mag ich sowieso. Die Bilder haben einen besonderen Charme, das Bokeh seinen Schmelz. Ich finde das äußerst „lecker“, was ich da sehe.
Mit F0.95 halte ich direkt in die Sonne. Was natürlich nur mit dem elektrischen Verschluss bei 1/30.000 Sekunde funktioniert. Und unter diesen völlig unrealistischen Bedingungen sehe ich das erste einzige Mal Schwächen: grünlila Farbsäume entstehen im Bild – aber das wäre vermutlich bei vielen anderen Objektiven unter diesen Umständen ebenso der Fall gewesen. Und eines darf nicht vergessen werden: Das 7artisans 35mm F0.95 kostet ja keine 200 Euro. Habe ich das nicht schon erwähnt?
Das 7artisans 35mm F0.95 im Vergleich zum XF 35mm F1.4 von Fuji
Hätte ich nicht schon ein 35mm für mein Fuji X System, dann würde ich die Frage nach der Daseinsberechtigung des 7artisans gar nicht stellen. Aber ich habe nun mal schon eines und mit dem XF 35mm F1.4 sogar die offenblendigste Fuji Variante. Klar, dass der Vergleich nun auf der Hand liegt.
Nun, äußerlich sind die Beiden erst einmal ähnlich groß, wenngleich das Fuji eine Idee kürzer ist. Und sie verfügen über denselben Durchmesser von 52 Millimetern. Soviel zu den Gemeinsamkeiten.
Der im wahrsten Sinne des Wortes schwerwiegendste Unterschied ist das Gewicht. Während das 7artisans ganze 369g auf die Waage bringt, ist das Fuji ein Leichtgewicht – es wiegt mit 187g knapp die Hälfte. Und das merkt man. Klar, es sind auch deutlich weniger Elemente verbaut.
Positiv zu vermerken auf Seiten der Fuji Linse ist die Naheinstellgrenze von 28cm (vs. 37cm) sowie natürlich der Autofokus. Dieser zählt zwar zu den langsamsten des ganzen Fuji Objektivparks, aber schließlich war das 35mm F1.4 auch die erste Fuji X Linse überhaupt. Nicht zuletzt deshalb warten viele Fans auf eine Mark II Variante mit einem verbesserten Autofokus.
Nun besitze ich weder ein Teststudio noch habe ich den Anspruch daran, einen genauen Vergleichstest durchzuführen noch würde mir das Spaß bereiten. Aber ich habe ein paar Vergleichsaufnahmen gemacht, die aus meiner Sicht einen interessanten Vergleich beider Objektive zulassen. Die Bilder sind OOC unter identischen Einstellungen gemacht, also unbearbeitet – ich habe nur das Helligkeitsniveau mithilfe des Histogramms angepasst, nicht aber den Weißabgleich.
Im ersten Schritt habe ich die beiden Kandidaten mit ihren jeweiligen Offenblenden gegeneinander antreten lassen. Was mir als erstes auffällt: 35mm sind nicht gleich 35mm. Das Fuji ist etwas „weiter“, wenn man nach dem Blickwinkel googlet, findet man dies auch bestätigt (Fuji 44,2° / 7artisans 43°). Abgesehen davon finde ich den Unterschied zwischen den Blenden 0.95 und 1.4 erkennbar. Besonders deutlich an der im Hintergrund stehenden Canon AE1.
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber der Unterschied fällt geringer aus als gedacht. Zumindest an diesem Motiv könnte ich auf die größere Offenblende von F0.95 verzichten. Der Punkt geht aber dennoch ans 7artisans.
Im direkten Vergleich bei F1.4 zeigt sich aus meiner Sicht ein schöneres Bild beim Fuji Objektiv. Besonders am Wasser im Glas ist zu sehen, dass das XF35mm das klarere Bild hergibt. Auch die Farbwiedergabe gefällt mir hier besser. Und dabei darf nicht vergessen, dass das 7artisans hier schon eine Stufe abgeblendet ist und dass Fuji hier quasi mit seiner schwächsten Blende – bezogen auf die Bildqualität – antreten muss.
Der letzte Vergleich stellt ein Crop aus dem obigen Bild dar. Und auch hier geht mein Punkt an das Fuji Glas. Die Tulpenblätter sind eine Idee differenzierter aufgelöst. Ich meine hier mehr Details zu erkennen.
Aber seien wir ehrlich. Die Unterschiede sind nicht kriegsentscheidend und dieser Vergleich ist nun wahrlich kein Studioexperiment. Aber es zeigt doch – gemeinsam mit den Eckdaten – Vor- und Nachteile beider Objektive.
Fehlt eigentlich nur noch der Preisvergleich: Das 7artisans kannst Du – wie schon beschrieben – für unter 200 Euro bekommen. Das Fuji Objektiv schlägt mit einem Straßenpreis von derzeit 560 Euro zu Buche und kostet nicht ganz das Dreifache, aber schon deutlich mehr als das Doppelte. Dass dafür eine Gegenlichtblende noch mit dabei ist, ist schön. Ändert die Tatsache des deutlichen Preisunterschieds aber nicht wesentlich.
Und nun?
Stellt sich die Frage nach dem Fazit. 7artisans hat auf der ganzen Linie abgeliefert. Wer ein Objektiv möchte, das eine einzigartige Bildwirkung aufweist, der sollte zuschlagen. Für unter 200 Euro ist die Linse wahrlich eine Empfehlung wert. Haptik, Bedienung und Bildqualität – hier bin ich voll des Lobes. Mein einziger Kritikpunkt ist die Anordnung des Blendenrings ganz vorne am Objektiv. Und diese hat mich wahnsinnig gemacht.
Im Vergleich zum XF 35mm F1.4? Mir ist klar geworden, wie leicht die Fuji Variante ist. Und wie gut sie an die X-Pro Serie passt. Und wie komfortabel ein Autofokus sein kann, auch wenn es nicht der Schnellste ist. Außerdem habe ich für mich den Unterschied zur Offenblende F0.95 zwar gesehen, aber verstanden, dass dieser Unterschied eben geringer ist als ich es erwartet hätte. Mit dem Fuji XF35mm F1.4 fahre ich folglich auch weiterhin gut.
Heißt also aus meiner Sicht: Wenn Du schon ein Fujinon XF 35mm F.14 Dein eigen nennst, dann brauchst Du das 7artisans 35mm F0.95 vermutlich nicht.
Ansonsten: Zuschlagen, definitiv!
Links
- Das 7Artisans 35mm F0.95 bei Pergear direkt kaufen (Affiliate)
- oder bei Amazon (Affiliate)
- Test von Michael Damböck auf YouTube (inkl. Promocode in der dortigen Videobeschreibung)
- Das Loblied auf das 7artisans 35mm F0.95 von Jonas Rask (mit sehr schönen Aufnahmen)
Beispielbilder mit dem 7artisans 35mm F0.95
Alle Beispielbilder sind ausnahmslos mit Offenblende F0.95 gemacht (an X-T3 und X-Pro2).
Hallo Florian, war mit vor dem Kauf des 7artisans 35 mm / 0.95 nicht sicher ob die Linse was für mich ist oder nicht. Habe hierzu viel im Netz recherchiert. Habe auch so einiges dazu gefunden. Wobei Dein Artikel (und der von Jonas Rask) zu den besten gehört. Da ich auch das Fuji XF 35 mm / 2.0 besitze, welches ich nun mit dem 7artisans vergleichen konnte. Der Unterschied der Bildwirkung von 2.0 auf 0.95 ist der absolute Wahnsinn. Vor allem dann, wenn man den Fokus richtig einstellt. Das 7artisans kann man bei 0.95 festkleben. Dazu wurde das Teil auch gebaut. Daher ein großes DANKE an Dich für den tollen Artikel. Gruß Michael
Hallo Michael, vielen Dank für Deinen Kommentar. Das freut mich sehr, dass ich zu Deiner Entscheidungsfindung beitragen konnte. Besten Dank und viele Grüße, Florian
Hallo, danke für deinen Bericht und den Testfotos, nicht schlecht. Doch im Moment haben wohl alle Händler die Nachfrage erkannt und mal die Preise angezogen, 3.Mai ca. 270,00€. Kein Schnäppchen für mich.
Hallo Winfried. Das ist deutlich mehr, aber eigentlich sind 270 Euro noch immer eine ganz gute Hausnummer in punkto preis/Leistung, oder?
Hallo Florian, ein schönes Review mit wunder Bildern. Darf ich dich fragen, wie es zu den wunderschönen Blautönen im Hamburger Hafen gekommen ist? Hast du die gegradet oder kamen die so im großen und ganzen aus der Kamera?
… mit wunder[schönen] Bildern …
Hi Ben, herzlichen Dank für Dein Feedback. Ich habe in meinen Bearbeitunhgseinstellungen einmal nachgeschaut. Ich habe die fujieigene Filmsimulation Classic Chrome genutzt. Ansonsten habe ich keine Farbänderungen vorgenommen. Es war allerdings auch schon die Blaue Stunde an einem sehr kalten (und klaren) Wintertag. Viele Grüße, Florian