Jonathan Jasberg – „Cairo: A Beautiful Thing is Never Perfect“ (Notizen zur Podcast Folge #9 der Fotobuch Plauder Ecke)

Die Juni Ausgabe unserer Fotobuch Plauder Ecke haben wir dem Thema „Street Photography“ gewidmet. Vielleicht das derzeitig Hype Thema in der Fotografie. Und schon gar keine leichte Aufgabe, schließlich ist die Auswahl unendlich groß und gerade in den letzten Jahren sind viele neue Fotobücher und Bildbände hinzugekommen. Ich habe mir das erst diesen Monat erschienene (und leider bereits schon wieder vergriffene) Buch „Cairo: A Beautiful Thing is Never Perfect“ von Jonathan Jasberg ausgesucht. Thomas hat sich für einen echten Klassiker entschieden, nämlich „Von Nilpferden und anderen Menschen“ von Friedrich Seidenstücker und damit einem Bildband, der Street Fotografie aus den 1920er und 1930er Jahren abbildet. Ihr seht also, wie waren dieses Mal in der Zeitspanne so weit vielfältig wie nie zuvor: Sehr „alte“ Street Photography, quasi noch vor Cartier-Bresson, aber auch und brandaktuell.

„Cairo: A Beautiful Thing is Never Perfect“ von Jonathan Jasberg

Wenn Ihr meinem Blog schon länger folgt, dann kennt Ihr Jonathan Jasberg bereits. Ich habe nämlich schon einmal ausführlich über ihn berichtet, nachdem ich im letzten April fünf Tage mit Jonathan in Kyoto fotografiert habe. Und zwar auf im Rahmen eines sehr kleinen, dafür aber umso intensiveren Street Photography Workshops. Ich konnte in der Juni Ausgabe also zum ersten Mal einen Bildband von einem Autor vorstellen, den ich persönlich kenne und von dem ich eine Idee habe, WIE er fotografiert.

Jonathan kommt aus Arizona und ist seit einigen Jahren als Traveller unterwegs, er besitzt lediglich einen kleinen Rollkoffer, mit der er seinen minimalistischen Lebensstil organisiert. Auch vom technischen Setup ist Jonathan auf das Wesentliche reduziert, er macht alles mit den Kameras der Leica Q-Serie, wenn er nicht gerade für Xiamoi und seine Smartphone als Testimonial fungiert und damit fotografiert. Das Wechseln von Objektiven kennt Jonathan nicht wirklich und zudem bevorzugt er das manuelle Fokussieren und das Arbeiten mit dem Zonenfokussystem.

Ich bin auf ihn aufmerksam geworden als Jonathan 2022 den renomierten Eyeshot Open Call Award im Bereich Serienbilder gewonnen hatte. Mit seinen Aufnahmen aus Ägypten ist er mir sofort aufgefallen; mich faszinierten seine komplexen Wimmelbilder vom ersten Moment an. Er fiel mir aber auch auf, weil er intensive Mehrtagesworkshops auf seiner Website bewarb, ausgerechnet auch in Japan, dorthin wo ich 2023 in meinem Sabbatical unbedingt hinreisen wollte. Kurzum, ich konnte einen der begehrten Plätze buchen und habe fünf Tage mit Jonathan und zwei weiteren Fotograf:innen verbracht. Tage, von denen ich heute noch zehre.

Was ich bisher vermisste, war ein Bildband seiner Arbeiten. Bis vor ein paar Wochen gab es keinen Jasberg in Buchform. Und leider – das ist die schlechte Nachricht – gibt es „ihn“ heute auch nicht mehr, denn kaum ist das Buch „Cairo: A Beautiful Thing is Never Perfect“ erschienen, so ist es auch schon wieder vergriffen. Aber es gibt einen kleinen Ersatz, dazu unten mehr.

Jonathan Jasberg - Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect
Jonathan Jasberg – Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect

Das „Cairo-Buch“ kommt im Format 22*24cm auf 164 Seiten. Tatsächlich ist es so etwas wie das Preisgeld für den gewonnen Award, dem Gewinner des Wettbewerbs winkt nämlich in aller Regel ein Buchvertrag. Und so wundert es nicht, dass wir die 15 preisgekrönten Bildern im Buch finden, die wir in den letzten Jahren in verschiedenen Wettbewerbern und Artikeln immer wieder gesehen haben. Ich bin mir sicher, dass Ihr ein paar Bilder wieder erkennt, auch wenn Ihr Jonathan Jasberg selbst nicht vor Augen haben solltet. Im Buch finden sich zudem viele noch nie veröffentlichten Bilder – es ist eine umfangreiche Serie von der Stadt Kairo, so wie sie Jonathan erlebt hatte in den Jahren 2020, 2021 und 2022.

Jonathan Jasberg - Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect
Jonathan Jasberg – Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect: Drei Matrosen vor der Sphinx. Oder: Vier Gesichter ohne Nase? Oder ist es einfach nur ein grandioses Bild von seltsam gekleideten Menschen an einem sonst überfüllten Ort?

Ich liebe dieses Buch. Denn ich blättere von Story zu Story und kann mir in so vielen Bildern eine eigene Geschichte vorstellen. Manchmal sind es welche, die ich mir ausdenke, aber ich erinnere mich auch an ein, zwei Stories von Jonathan. Er hatte mir welche in Kyoto erzählt, macht das aber auch in einem YouTube Video zur Street Photography, das ich Euch wärmstens empfehlen möchte (Link unten). Und er hat in unserem Podcast auch so ein paar Geschichten erzählt, denn wir hatten die Gelegenheit, ein paar O-Töne von ihm einzufangen. Wer von Euch bis hierhin liest, ist also selbst schuld. Dann MÜSST Ihr Euch die Podcastfolge anhören (oder anschauen) und den wunderbaren Arizona Slang von Jonathan genießen und seinen Ausführungen folgen! Pflichtveranstaltung!

Jonathan Jasberg - Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect
Jonathan Jasberg – Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect. Ein Beispiel für ein Jasbergisches Wimmelbild

Jonathan Jasberg schafft es immer wieder, die Leser:innen seines Buches zu fesseln, in dem er viele Elemente in einer Darstellung vereint. Schaut Euch obiges Bild an, eine Aufnahme mit einem größeren Objekt und seinem Schattenwurf, zwei Fahrzeugen, zwei Menschen und schließlich einer Katze (deren Schatten als weiterer Bonus einer Ente/einem Schwan gleicht, danke Thomas für diese Ergänzung im Podcast!).

Zugeben, die eigentliche Situation ist in ihrer ursprünglichen Ästhetik nicht „schön“. Es sieht verarmt aus, die Straßenverhältnisse sind katastrophal und richtig geordnet fühlt sich die Szenerie auch nicht an. Aber Jonathan gibt dem Chaos eine Ordnung, in dem er die Protagonisten layert und anordnet – und er sieht die Boni, die Farben und auch die Atmosphäre. Eine kleine Kunst, ein solches Bild zu arrangieren. Wie er das macht? Hört Euch den Podcast an, diese Frage habe ich ihm anhand dieses Bildes gestellt.

Jonathan Jasberg - Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect
Jonathan Jasberg – Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect

Wohl eines seiner bekanntesten Bilder ist der Kamelkopf auf dem Auto. Auch hier ist die Anordnung das wichtigste Konzept des Bildes. Ich sehe aber auch die Challenge bei der Lichtsetzung und in der Winzigkeit des Augenblicks, nämlich den Moment einzufangen, in dem einer der Protagonisten durch die Autoscheibe in Jonathans Leica Q2 blickt. Und den Hintergund im Blick zu haben – eigentlich der wichtigste Punkt, nachdem man das eigentliche Ziel der Aufnahme gespottet hat.

Jonathan Jasberg - Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect
Jonathan Jasberg – Cairo: A Beautiful Thing Is Never Perfect: Der Eiermann

Mein Lieblingsbild ist „Der Eiermann“ – keine Ahnung, ob das dem Titel entspricht, den Jonathan auch vergeben würde – den Namen habe ich mir ausgedacht. Das Offensichtliche vorneweg, der Eierverkäufer hat ein Pflaster auf dem Auge, das wie ein Ei aussieht. Aber da sind ja noch die Eierhaufen selbst: Pyramiden aus Eier – und das in Kairo. Es lassen sich noch weitere Dreiecke im Bild finden. Aber der eigentliche Bonus ist der Fernseher im Hintergrund. Wie das Jonathan gemacht hat und warum dieses Element (again: im Hintergrund) wichtig war, das hört Ihr im Podcast. Sorry für die Werbe-Spoiler, aber es lohnt sich eben, Jonathans Antworten zuzuhören. Hatte ich das schon mal erwähnt? 😉

Jonathan Jasberg in der LFI Mai/Juni (4/2024)

Nun, Jonathans Buch ist leider schon ausverkauft. Dafür könnt Ihr Euch für nur 9,90 Euro die aktuelle LFI (Leica Fotografie International) am Kiosk oder im Bahnhofshandel kaufen. Viele Bilder aus dem Cairo Buch findet Ihr auch hier, wie ein kurzes Interview und am Besten: Noch weitere Aufnahmen aus Indien, Nepal und Mexico. Die LFI ist ja ohnehin ein lohnenswertes Medium, aber ich möchte sie dieses Mal ganz besonders empfehlen, weil einige Seiten den Arbeiten von Jonathan Jasberg gewidmet sind (auch wenn dieser Bericht schon älter sein sollte, wenn Du das liest – man kann die auch alte Ausgaben der LFI problemlos online bestellen – Link unten).

Jonathan Jasberg - LFI 4/2024
Jonathan Jasberg – in der LFI 4/2024

Für die Podcastfolge habe ich mich für eine Doppelseite aus Indien entschieden. Denn auch hier haben wir wieder typische Jasberg-Elemente: Mehrere Menschen und Objekte zueinander gelayert. Boni in Form von Fahrzeugen, Tieren oder weiteren Menschen. Rahmen, Spiegel und Räder, die dem Ganzen eine weitere Note hinzugeben, die Geschichte verfeinern. Es sind die Wimmelbilder des Alltags, die Komplexität in der Einfachheit, eine ganz eigene Feinkost der Street Photography. Nah, authentisch, vergänglich und vor allem: wertschätzend.

Jonathan Jasberg - LFI 4/2024
Drei Aufnahmen aus Indien von Jonathan Jasberg – in der LFI 4/2024

Und so komme ich auch gerne auf den Titel des Cairo Buches zurück, den ich so schön finde: „A Beautiful Thing Is Never Perfect“. Denn Jonathan reiste nicht im Geiste der Post-Covid Touristen mal schnell nach Kairo zu den Pyramiden um dann sofort die Stadt in Richtung Luxor oder Rotes Meer zu verlassen. Jonathan nahm sich wochenlang Zeit, die Stadt zu erwandern, immer die Sonne im Rücken, um möglichst gutes Licht zu haben. „Slowly navigate from the east to the west in the morning. Repeat it in the evening from the west to the east. You always wanna have the sun in your back“ – einer der Leitsätze, die ich seit unserem Workshop im Kopf habe. Aber viel wichtiger, Jonathan gibt Kairo mit seinen Bildern etwas zurück; nämlich die Aufmerksamkeit, die Wertschätzung und zudem die Schönheit, auch wenn sie eben nicht perfekt ist.

Also, hört rein in unsere Folge. Es lohnt sich. Beschäftigt Euch gerne mit Jonathan und folgt ihm auf seinen Kanälen (Links unten).


Abschließend möchte ich Euch Jonathans Street Photography Workshops wärmstens empfehlen. Ihr findet Euch dort nämlich weder in einer Großgruppe gefangen, noch seid Ihr frustriert, weil der/die Workshopleiter/in lieber selber fotografieren möchte als Euch zu coachen (achtet mal darauf bei Workshops, ob der/die Leiter/in sein/ihr eigenes Ding macht oder sich ausschließlich um Euch kümmert – das ist ein echter Gradmesser!).
Und Ihr könnt Euch sicher sein, dass Ihr wirklich gefordert werdet. Die Workshopgruppen sind nämlich klein (3 bis 5 Teilnehmer). Jonathan ist für Euch da und geht immer wieder mit Euch zusammen in einer echten 1:1 Konstellation auf die Straße. So könnt Ihr von einem der derzeit angesagtesten (und nicht zuletzt einem sehr sympathischen) Street Fotografen lernen!

⚡ Links zur Folge

Den Podcast und die anderen Folgen der Fotobuch Plauder Ecke findest Du bei Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer und allen gängigen Plattformen. Und zusätzlich bei YouTube als Video Podcast. Damit Du keine Folge verpasst, lass gerne ein Abo auf der Plattform Deines Vertrauens da!

6 Gedanken zu „Jonathan Jasberg – „Cairo: A Beautiful Thing is Never Perfect“ (Notizen zur Podcast Folge #9 der Fotobuch Plauder Ecke)“

  1. Lieber Florian,
    da ist Dir ein gewaltiger Coup gelungen, als Du den Fotografen selbst zu seinen großartigen Bildern sprechen ließt – in diesem wunderbar kehligen Amerikanisch! Eine tolle Idee! Schade, dass dieses Buch vergriffen ist!
    Ägypten ist übrigen ein lohnendes Reiseland für Fotografen.

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  2. Richtig tolle Folge. Fühle mich als passionierter Street Fotograf total abgeholt. Beide Bildbände sind eine gute Wahl und euere Gedanken dazu sehr inspirierend! Danke Thomas, danke Florian

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