Ich freue mich sehr, dass Jens seine Erfahrungen mit seiner Leica Q2 hier auf meinem Blog teilt. Er war mit der Q2 in Vietnam unterwegs, aber lest selbst seinen Bericht und verpasst es nicht, die Bildergalerie seine Reise anzuschauen.
„The most hated camera in the world.“ – So hat James Popsys am 18. August 2024 mit einem Augenzwinkern seinen YouTube Vlog über die Leica Q-Serie betitelt. Eine Kameraserie, die polarisiert und zu der (scheinbar) schon alles gesagt wurde. Braucht die Welt also wirklich noch ein weiteres Leica Q2-Review?
Ganz sicher nicht – zumal Florian hier auf seinem Blog bereits ausführlich über die Q2 geschrieben und den (unvermeidlichen?) Vergleich zur Fuji-X100-Serie gezogen hat. Erwähnt sei auch Peter Poetes Blogbeitrag zur Leica Q3, der ebenfalls viele interessante Einblicke liefert.
Hier soll es jedoch nicht um ein weiteres klassisches Review gehen. Stattdessen möchte ich meine Erfahrungen als jemand teilen, der bisher vor allem Reise- und Landschaftsfotografie mit Festbrennweiten und Zoomobjektiven betrieben hat und sich in Vietnam nun auf das Abenteuer „One camera / one lens only“ eingelassen hat.
Street Photography in Vietnam
Bei Street Photography im Ausland denkt man zuerst an europäische Metropolen wie London, Paris, Rom oder Lissabon – oder vielleicht an versteckte Perlen wie Neapel. Und natürlich kommt einem auch New York in den Sinn.
Vietnam hingegen, mit seinen Städten Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, hat erst in jüngerer Zeit – teils durch den Einfluss einiger YouTuber – größere Aufmerksamkeit in der Street Photography-Szene erhalten. Das Land hat sich erst 1996 dem Tourismus geöffnet, und so bin ich im Oktober mit viel Vorfreude den 13-stündigen Flug nach Hanoi angetreten, um in den Herbstferien zwei Wochen lang mit meiner Familie das Land zu bereisen. Unsere individuelle Reiseroute führte uns mehr oder weniger entlang der touristischen Hotspots. Rückblickend (oder beim nächsten Mal!) würde ich ein kleineres Gebiet intensiver erkunden, etwa den Norden mit dem Ha Giang Loop und Ninh Binh als Alternative zur überlaufenen Halong-Bucht.

Los ging es in Hanoi. In der Altstadt erlebt man an manchen Ecken noch die verwitterte Architektur des französisch-indochinesischen Erbes. Gleichzeitig wird man – je nach Stimmung fasziniert oder irritiert – von den rund vier Millionen Motorrollern auf 8,5 Millionen Einwohner empfangen. Street Photography in den vietnamesischen Metropolen ist unkompliziert: Ein Lächeln und eine offene, positive Haltung öffnen meist Türen zu den Menschen und ihrem Leben, das sich zu großen Teilen auf der Straße abspielt. Besonders beeindruckt hat mich die Warmherzigkeit der Nordvietnamesen. Hanoi ist spürbar weniger „verwestlicht“ als das wirtschaftliche Zentrum Ho-Chi-Minh-Stadt.
Von Hanoi aus ging es weiter in eine ruhigere Bucht der berühmt-berüchtigten Halong-Bucht und dann zurück nach Hanoi, wo wir mit dem Nachtzug (16 Stunden) nach Hoi An fuhren, der „Lampionstadt“ in Zentralvietnam. Gegen Abend, wenn die Tagestouristen Hoi An verlassen, offenbart sich die Schönheit der hervorragend erhaltenen Altstadt, die mit Lampions geschmückt ist. Zwar touristisch, aber dennoch geschmackvoll.

Die zweite Hälfte der Reise verbrachten wir im Süden, wo wir Ho-Chi-Minh-Stadt und das Mekong-Delta erkundeten. Letzteres klingt nach zahllosen, mäandernden Wasserläufen à la Amazonas-Delta, doch in Wirklichkeit sind es vor allem viel genutzte – und oft verschmutzte – Wasserstraßen, die der boomenden Wirtschaft dienen. Trotzdem ermöglichten die zahlreichen Fahrradtouren, ob mit oder ohne Guide (dank Komoot), einen spannenden Einblick in das Leben der Landbevölkerung. Sie gehörten definitiv zu den Highlights der Reise.
Mein persönliches Highlight war jedoch eine halbtägige Street Photography-Tour durch die verwinkelten Gassen eines Randbezirks von Ho-Chi-Minh-Stadt, die ich spontan bei dem dort seit 2014 lebenden Franzosen Adrien Jean gebucht habe (adrienjeanphotography.com). Die Eindrücke abseits der bekannten Pfade waren unglaublich faszinierend und roh – eine uneingeschränkte Empfehlung!
Genau hier zeigte die Leica Q2, wofür sie gemacht ist – doch dazu nun mehr …
Dem Leica Q2-Hype verfallen?
Ich fotografiere seit 41 Jahren mit Nikon und war mehr als zufrieden mit meiner elf Jahre alten DSLR, der Nikon D750. Fast forward nach 2020, als ich die Lust an der Landschaftsfotografie verloren hatte und (dank Corona und dem im Verlauf des Jahres 2020 einsetzenden Hype) in die Fuji X100-Serie eingestiegen bin. Zuerst erwarb ich die gebrauchte X100F, dann im März 2021 die neue X100V (damals noch ohne Warteliste und zum Normalpreis – das gab es wirklich). Mein Nikon-Equipment habe ich zuletzt im Winter 2019/2020 genutzt, aber ich kann mich bis heute nicht davon trennen.
Durch die ständigen Vergleiche zwischen der X100- und der Leica Q-Serie auf YouTube bin ich überhaupt erst auf die Q aufmerksam geworden. Im Mai 2024 habe ich schließlich zugeschlagen und eine gebrauchte Leica Q2 gekauft. Nachdem ich im Sommerurlaub auf Korsika erste längere Erfahrungen mit der Kamera gesammelt hatte, begleitete sie mich im Oktober nach Vietnam. Neu war sie nicht für mich, da ich die Gelegenheit hatte, Florians Q2 im Herbst 2023 während eines Dänemark-Urlaubs auszuprobieren. Seitdem lässt mich die Kamera nicht mehr los. „Hassliebe“ wäre eine treffende Umschreibung des Beziehungsstatus, aber dazu später mehr.

Der Kauf war dennoch eine Bauchentscheidung – rein rational machte er für mich keinen Sinn, da ich ein 28mm- und 50mm-Shooter bin (und auch bei Zoomobjektiven in „Ausschnitts-Sprüngen“ denke, soll heißen: Ein 24-70mm-Zoom sind für mich fünf variable Festbrennweiten: 24 / 28 / 35 / 50 / 75mm). Das hat sich über die letzten Jahre jedoch etwas relativiert durch die Nutzung der X100V, bei der ich die nativen 23mm am APS-C-Sensor (= 35mm äquivalent im Vollformat) als guten Kompromiss empfinde.
Die Leica Q2 im Einsatz
Zurück zum Thema: Wie lief’s denn nun? Gibt es etwas Neues beizutragen zur ewigen Diskussion, auch unter dem Aspekt „One camera / one lens only“?
Die für mich überraschendste Erkenntnis: Ich habe meine Motivsuche und Komposition an die Brennweite angepasst und mich somit voll auf die Kamera eingelassen – einlassen müssen. Man rückt automatisch näher an das Motiv heran und sucht gezielt nach Weitwinkel-Motiven. Man könnte einwenden: „No big deal“, wenn die Reise zur Hälfte aus Street Photography in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt bestand. Aber auch die Reisemotive am Rande ließen sich formatfüllend abbilden, und die kleinen Augenblicke am Wegesrand konnten als solche dokumentiert werden.
Auf die Kompression von Landschaften und die freigestellten Porträts, wie ich sie mit einer 70-200mm-Brennweite erzielen könnte, konnte ich gut verzichten – auch wenn es manchmal schmerzte. Bei etwa 10 % der Fotos habe ich dennoch auf den Crop-Mode zurückgegriffen, um Details herauszuarbeiten.
Für Street- und Reisefotografie war und ist die Kamera für mich der perfekte Begleiter. PUNKT.
Nach dem Leica Q2 Honeymoon
Und im Alltag? Wenn ich nicht gerade auf Reisen bin oder mich gezielt zur Street Photography verabrede, liegt die Q2 meistens im Schrank. Zu Hause greife ich öfter zur X100V – vor allem wegen des eingebauten Blitzes, der bei Indoor-Familienmomenten im täglichen Leben den Unterschied macht.
Kann ich mit der Q2 als One-Camera-Solution glücklich werden? Als „Immer-dabei-Kamera“ ist sie mir zu groß, und es schwingt immer das Thema „potenzielle Zielscheibe für Diebe“ mit – ein Problem, das sich natürlich durch eine Kameraversicherung lösen ließe. Vermutlich ist das eher ein persönliches Trauma: Ich behandle die Kamera mit Samthandschuhen, aus (falsch verstandener) Ehrfurcht. Schließlich ist sie mit Abstand das teuerste Einzelinvestment in meinem Fotoequipment. Verzichten möchte ich jedoch nicht – soviel zum Thema „Hassliebe“.

So fahre ich also mehrgleisig: Neben der Leica Q2 kommen auch die X100V und die XE2 zum Einsatz, besonders wenn ich mich von den Filmsimulationen von Ritchie Roesch auf Fuji X Weekly begeistern lasse. Es macht unglaublich viel Spaß, eine Serie von Bildern im gleichen JPEG-Look zu schießen – mehr Zeit hinter der Kamera und weniger (oder gar keine) am Rechner!
Was mir an der Leica Q2 gefällt
Handling
- Sehr einfache und intelligent gestaltete Menüstruktur.
- User Profiles sind ein echter Gamechanger.
- Heller und fein auflösender Sucher.
Crop Modi
- Zunächst als „Gimmick“ abgetan, sind sie tatsächlich nutzbar und bieten echten Mehrwert (wenn auch kein Ersatz für die Komprimierung, vor allem oberhalb nativer 50mm-Objektive).
- Es macht Spaß, mit den 35mm-Frame-Lines zu fotografieren und so ein wenig das Leica-M-Feeling zu erleben, inklusive der Sicht auf den Bereich außerhalb des gewählten Ausschnitts.
- Offensichtlich passt sich auch das Feld der Belichtungsmessung an den gewählten Crop-Modus an.
Das Objektiv
- Sehr scharf und kontrastreich.
- Manueller Fokus: Trotz „Focus by Wire“-Technologie macht das manuelle Fokussieren unglaublich viel Spaß, insbesondere im Makromodus.
- Definierter Stopp für Unendlich.
- Hyperfokal-Funktion: Am Objektiv tatsächlich nutzbar – ein klarer Vorteil gegenüber der X100-Serie, bei der die hyperfokale Distanz nur digital angezeigt wird und weniger präzise ist.
RAW Output
- RAW-Dateien benötigen sehr wenig Nachbearbeitung. Dynamikumfang, Kontrast und Farben (insbesondere Rot) sind hervorragend.
Leica Fotos App
- selten genutzt, ist aber immer verlässlich und schnell.
Was mir an der Leica Q2 nicht gefällt
Weißabgleich
- Eine absolute Katastrophe und der Kamera unwürdig.
- Am besten auf „Bewölkt“ stellen und in der Nachbearbeitung anpassen – oder eine Graukarte nutzen und individuell einstellen.
Entfernungsskala am Objektiv („Focus Throw“)
- Der Sprung von „2 Meter“ direkt zu „Unendlich“ macht manuelles Fokussieren weniger präzise, da keine feinen Abstufungen möglich sind – anders als bei den 28mm-M-Objektiven.
- Zudem gibt es nach „Unendlich“ noch einige Millimeter Spielraum bis zum harten Anschlag, was die Hyperfokaldistanz ungenau macht. Ich habe bereits einige Fotos vergeigt, weil die Hyperfokaleinstellung nicht stimmte.
The elephant in the room?
Nein, es ist nicht der Preis der Leica Q2 oder Q3 – sondern der Umstand, dass es nun eine Variante mit 43mm gibt. Ich hätte gedacht, dass ich sofort die Q2 verkaufe und von 28mm auf 43mm wechsle. Doch überraschenderweise verspüre ich kein Verlangen danach. Warum? Weil ich lieber von 28mm auf 35mm croppe und mir so die Option des Weitwinkels bewahre. Von 43mm geht es hingegen nur in Richtung 60mm+ weiter (warum überhaupt 60mm?).
Beide Kameras zusammen zu besitzen, steht für mich nicht zur Debatte. Ebenso wenig ein Wechsel von der Q auf die M, da ich den Autofokus zu sehr vermissen würde. Der optische Messsucher und ich – insbesondere als Brillenträger – werden wohl keine Freunde mehr.
Aber wer weiß? Vielleicht kommt eines Tages eine M12 mit elektronischem Sucher auf den Markt, und dann könnte sich alles ändern …
Bilder der Vietnamreise im Herbst 2024

































Vielen Dank für diesen Gastbeitrag und die tollen Bilder dazu, Jens! Das macht Lust auf Vietnam!
Hallo Florian, und diesmal vor allem hallo Jens,
wunderbare Einblicke in das Land! Ich mag die Bilder sehr… einige sind auch echt „Big Cinema“ (u.a. das beim Billard und die Dame auf der Treppe). Ich habe richtig, richtig Fernweh wieder – war länger nicht mehr auf „weiteren“ Reisen unterwegs. Vietnam ist eines der Länder, die mich sehr reizen würden. Neid 😉
Die Hassliebe zur Q2 kann ich auch verstehen – obwohl ich nie eine besaß. Selbst die – wie ich glaube – sehr verbesserte Q3 kann einem manchmal die Augen rollen lassen. Aber der Output und auch das Gesamtkonzept lassen mich das schnell vergessen.
Zur Q3 43: (kleiner Teaser) Ich habe seit Anfang Dezember eine geliehene 43 hier, war auch schon mit in Venedig. Wer mit dieser Brennweite was anfangen kann, wow! Das Objektiv ist echt nicht von dieser Welt! Für mich selbst, nah… 28 it is! Ich hoffe, nächste Woche kommt mein Artikel darüber…
Apropos Artikel: Vielen Dank auch für das Verlinken meines Posts! Und natürlich auch fürs Lesen dessen 😉
VG Peter
Guten Morgen,
so, nun ist es raus… 🙂
https://peterpoete.de/the-natural-eye-leica-q3-43/
VG Peter
Hallo Peter,
vielen Dank für deine netten Worte zum Gastbeitrag!
Deinem Fazit am Ende des (mit der gewohnten Akribie verfassten) review zur Q3 43 stimme ich voll zu – 28mm it is (als one lens camera solution) 😏
Grüße, Jens
Hallo Jens,
danke auch Dir… Ist mit „gewohnter Akribie“ gemeint, dass ich zu lange Texte schreibe? (Was ja stimmt, ich wäre nicht böse 🙂 )
VG Peter
Hallo Jens,
vorausgeschickt sei, dass ich mir vor einiger Zeit auf Florians Rat hin eine gebrauchte Q116, also die erste Q, zugelegt habe. Mehr gab mein Budget nicht her. Beim Kauf habe ich wohl Glück gehabt, die Kamera ist wie neu! Natürlich fehlen mir all die „Fortschritte“ der Q2 und erst recht die der Q3. Unterm Strich kann auch ich aber all die Punkte, die Du im Reisetest beschrieben hast, bestätigen – Autofocus klasse, Handlichkeit und Bedienerfreundlichkeit ebenso, das lichtstarke Objektiv ist scharfzeichnend mit tollem Bildcharakter, Der großflächige Sensor lässt ein Croppen fast ohne Qualitätsverlust zu.
Erstaunlich schnell habe ich mich an die Abbildungsmöglichkeiten des Weitwinkelobjektivs gewöhnt. Ich bin also vollauf, auch mit der ersten Kamera der Serie Q, zufrieden!
Darum noch einmal der Dank an Florian für den Rat!
Sehr gut gefallen haben mir Deine Reisebilder. Das Land ist bestimmt ein Eldorado für den Straßenfotografen!
Wie Du, bediene auch ich die mittelalte Dame mit Respekt, immer auf ihr Wohl bedacht. Bei meinem ersten Ausgang mit ihr schoss, ich kann es nicht anders ausdrücken, eine Dame auf mich zu. “ Das ist auch eine Q, ich habe mir gerade eine Q2 gekauft, herrlich, ich bin begeistert!“ So wächst die Leicafamilie.
Liebe Grüße, auch an Dich Florian, Volker
Hallo Volker,
danke für‘ Teilen deiner Erfahrungen, vielleicht sind die 24MByte an der Q der „sweet spot“, die Größe der RAW Dateien an der Q2 erfordern früher oder später ein Aufrüsten oder Wechsel des Rechners 😒 Und Spaß macht die ganze Q-Reihe sowieso!
Vietnam ist in der Tat ein Traum für street (&Reise) photography, die Menschen sind sehr offen, wenn man ihnen mit Respekt begegnet. Die geführte (1:1) Tour in Ho Chi Minh City war das absolute highlight, ich wäre nie auf die locations gekommen.