Geheimtipp Tunesien: Impressionen einer Kurzreise (mit der Leica Q2)

Wenn es um die Wahl eines Reiseziels geht, bleibt Tunesien oft unerwähnt – zumindest außerhalb der Welt des Pauschaltourismus. Es findet sich sogar im Sortiment des Lonely Planet kein aktueller Reiseführer für dieses facettenreiche Land. Während andere Destinationen regelmäßige Aktualisierungen erfahren, scheint Tunesien auf der literarischen Landkarte nur ein Schatten seiner selbst zu sein.

Diese Art von unterschätzten Reisezielen übt auf mich jedoch eine besondere Faszination aus. Diese Neugier wurde noch verstärkt durch die Geschichten meines Fotokollegen Mehdi, den ich während eines Street Photography Workshops in Kyoto kennengelernt hatte. Als gebürtiger Tunesier schwärmte er von den einzigartigen fotografischen Gelegenheiten, die sein Heimatland bietet – von dem außergewöhnlichen Licht bis hin zur gelassenen Art der Menschen, die das Fotografieren dort zu einem wahren Genuss machen (Was somit im krassen Gegensatz zur fotografischen Situation in den nordafrikanischen Nachbarländern Marokko oder Ägypten steht. In beiden Ländern ist es ja durchaus schwierig, mit der Kamera unterwegs zu sein, da viele Einheimischen fotografierenden Tourist:innen sehr skeptisch gegenüberstehen).

Spätsommer in Tunis und Sousse

Es ist Anfang September und ich konnte mir für ein paar wenige Tage eine Auszeit nehmen. Ihr wisst ja, dass ich dieses Jahr schon sehr lange und ausführlich unterwegs war, dieses Mal sollte es nur ein ganz kurzer Trip sein. Und eine weitere Vereinfachung wollte ich mir vornehmen und war dieses Mal daher ausschließlich mit kleinem Besteck unterwegs. Eine Leica Q2 mit zwei weiteren Akkus. Keine Wechselobjektive, kein Stativ, keine Filter und schon gar keine Zweitkamera. Um das schon mal vorwegzunehmen: Das war wunderbar befreiend.

In Tunesien angekommen, bin ich sofort umgeben von einer Szenerie, die sich wie eine lebhafte Collage aus verschiedenen Kulturen anfühlt. Eigentlich weiss ich gar nicht so recht, wo ich bin. Hier mischen sich die lebhaften Farben Indiens mit der elegischen Ruhe des Nahen Ostens und der charmanten Lässigkeit französischer Cafés. Die Straßen von Tunis pulsieren mit einer Energie, die sowohl zeitlos als auch überraschend modern wirkt. Natürlich ist alles muslimisch geprägt, aber die Menschen sind konträr dazu super modisch und elegant, sie rauchen auf der Promenade als wären sie auf dem Champs Elysees und flanieren an mir vorbei, als würde die Welt selbst ein Laufsteg sein.

Die Welt, ein modischer Laufsteg? Hier in Sousse, Tunesien.

Dieser französische Einfluss ist natürlich ein Erbe der Kolonialzeit, unverkennbar in der Architektur und eben auch präsent im Alltag. Cafés und Bäckereien bieten Croissants und Café au lait an, während auf den Straßen eine Melange aus Arabisch und Französisch zu hören ist. Die jüngste Geschichte Tunesiens als Demokratie ist wie ein leises Summen im Hintergrund zu spüren. Nach dem Arabischen Frühling hat sich das Land neu erfunden, und diese Verwandlung spiegelt sich in der Energie und dem Optimismus der Menschen wider.

Tunis (und Vororte)

In den zwei Tagen, die ich in Tunis verbringe, zieht es mich auch in die malerischen Vororte an der Mittelmeerküste. Eine bequeme Zugstrecke führt mich von der lebhaften Medina, meinem vorübergehenden Zuhause, bis hin zum weiten Meer. Mein Ziel ist unter anderem Karthago, die sagenumwobene Stadt, die einst den Römern in den Punischen Kriegen die Stirn bot. Aber es ist vor allem Sidi Bou Said, die bezaubernde blaue Stadt, die mich in ihren Bann zieht. Hier, wo einst die Maler August Macke, Louis Moilliet und Paul Klee ihre künstlerischen Spuren hinterließen, spüre ich die gleiche Faszination für das außergewöhnliche Licht, von dem schon Mehdi schwärmte. Während ich durch die engen, blaugekalkten Gassen schlendere, fühle ich mich, als würde ich durch ein lebendiges Kunstwerk wandern, das in jedem Winkel eine neue Geschichte erzählt. Ich lasse mich vereinnahmen, beizeiten vergesse ich sogar das Fotografieren.

Nun, auch Tunis selbst ist wunderbar. Ob es das Schlendern durch die Medina ist, das Erleben des Markttreibens oder die Erholung an den Stränden. Nie habe ich das Gefühl, dass ich um irgend etwas Angst haben muss, nie fehlt irgend etwas. Auf der anderen Seite gibt es hier keine touristische Infrastruktur. Keine Reiseagenturen, keine schönen Restaurants, keine Bars für den Sundowner. Das ist keine Urlaubsgegend im klassischen Sinne und für Europäer:innen und auf deren Vorstellung von Erholung nicht ausgelegt.

Es sind einmal mehr die Farben und die Menschen, die mich verreinnahmen. Ihr kennt das schon von meinen Berichten über Indien (erst letzte Woche hatte ich einen YouTube Vortrag über die Reise zu den Farben eingesprochen). Im Vergleich zu den Nachbarländern Ägypten und Marokko, die oft im Fokus des nordafrikanischen Tourismus stehen, wirkt Tunesien tatsächlich entspannter, fast schon gelassen. Und so muss ich das Image bestätigen: Während in Ägypten und Marokko das Fotografieren eine Herausforderung sein kann, ist es in Tunesien ein Genuss. Die Menschen sind offen und zugänglich, das Licht ist außergewöhnlich – ein Paradies für jeden Street Photographer. Und das ist sogar hier in Tunesiens Hauptstadt so.

Sousse

Nach zwei Tagen fahre ich weiter nach Sousse. Für wenige Euro löse ich mir ein Ticket, nur etwa zweieinhalb Stunden brauche ich bis in die Touristenstadt, die ebenfalls an der Mittelmeerküste liegt, nur eben eine Ecke weiter südlich von Tunis.

Sousse kennt man sicherlich als Touristenort, in den 1980er, 1990er und 2000ern war die Stadt ein beliebtes Ausflugsziel für Pauschalurlauber, dank der tollen Strände und des angenehmen Klimas. Heute sieht das etwas anders aus, verlassene Hotelburgen stehen wie stumme Zeugen einer vergangenen Ära des Massentourismus da. Am Stadtstrand tummeln sich nur die Einheimischen und es liegt in der Luft, dass die Demokratie für viele nicht nur neue Chancen bietet.

Und ja, es gibt sie noch, die Chartertourist:innen, die das Geld ins Land bringen. Aber ihre Hotelburgen liegen etwas außerhalb, die Devisen fallen geringer aus und sie ziehen vermehrt Tourist:innen aus Osteuropa und Russland an. Bei den Reiseveranstaltern aus den traditionellen europäischen Urlaubsländern scheint Tunesien nicht mehr hoch im Kurs zu stehen, es sei denn es geht um die günstigsten der günstigen Reisen.

Auch in Sousse habe ich mir eine Unterkunft in der Medina gemietet. Tagsüber strömen ab und zu die Pauschalurlauber:innen hierher, aber vor allem morgens und abends gehört die Medina den Einheimischen (und mir). Und so schaffe ich es immer wieder hie und da einen Schnack zu halten und mich zu unterhalten, sofern das meine Französisch-Kenntnisse zu lassen. Die Menschen sind unfassbar nett und interessieren sich für mich. Und dann lassen Sie sich gerne fotografieren und freuen sich, wenn ich Ihnen ein Portrait via Instagram zukommen lassen kann.

In diesen Momenten wird mir bewusst, wie viel mehr Tunesien zu bieten hat als nur pittoreske Kulissen für meine Fotografien. Jedes Lächeln, jeder Händedruck, jede flüchtige Begegnung webt sich in das reiche soziale und kulturelle „Tapestrys“ des Landes ein. Es sind diese unerwarteten Begegnungen, die meine Reise ausmachen – das Entdecken von Geschichten und die Verbindung mit Menschen, die meine Perspektive bereichern.

Und deshalb ist Tunesien ein Geheimtipp!

Tunesien als Land für Individualreisende und Fotografierende ist also gleichermaßen noch ein Geheimtipp, das kann ich unterstreichen. Nein, es ist kein Reiseziel für Foodies oder Weinliebhaber. Tunesien ist sicherlich auch kein Land für den Erholungsurlaub. Das Land wird Dich eher durch Nuancen berühren; eine Kultur, die ihre eigene Geschichte leise, aber selbstbewusst erzählt. Ein Land, das noch nicht ganz für den Individualtourismus bereit zu sein scheint, aber gerade deshalb seinen besonderen Charme behält. Ein Ort, der in jedem Winkel und bei jedem Menschen eine neue Facette seiner vielschichtigen Identität offenbart.

Ein Land, wie gemacht für die Fotografie. Hätte ich doch nur ein paar Tage mehr eingeplant …

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4 Gedanken zu „Geheimtipp Tunesien: Impressionen einer Kurzreise (mit der Leica Q2)“

  1. Hallo, super Bericht. Ich sollte es noch einmal mit der Kamera besuchen.
    Meine Erfahrungen 2007 ein freundliches, schönes und interessantes Land.
    Mein Tipp für ein ganz besonderes Ziel ist Bulgarien / Tipps auf meiner HP.
    Schöne Grüße aus dem Schwarzwald Jens.

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