Paul McCartney – „1964: Augen des Sturms“ (Notizen zur Podcast Folge #7 der Fotobuch Plauder Ecke)

Schon zum siebten Mal schnacken wir in der Fotobuch Plauder Ecke über Bildbände. Für diese Folge haben wir uns das Thema „Musik“ ausgesucht. Ihr kennt das ja schon, Thomas und ich erzählen uns erst in der Podcast Folge selbst, welche Bildbände „dran sind“ und stellen uns diese dann gegenseitig vor. Im Folgenden erzähle ich etwas zu Paul McCartneys „1964: Augen des Sturms“, während sich Thomas den Bildband „Straßenmusiker“ von Michael Reufsteck ausgesucht hat.

Warum habe ich Paul McCartney ausgewählt? Schon seit Kindheitstagen bin ich ein leidenschaftlicher Beatles Fan. Musikalisch waren sie meine erste Liebe, wohl auch deshalb weil zwischen den Klassik Platten meiner Eltern nur wenig „moderne“ Musik zu finden war. Ihr wisst, eine erste Liebe vergisst man nie und so sind die Beatles für mich heute eine ganz besondere Band.

Letztes Jahr im Sommer ist im Verlag C.H. Beck das 335 Seiten starke Buch „1964: Augen des Sturms“ erschienen. Dokumentiert sind die Monate von Ende 1963 bis Mitte 1964, eine Zeit, in der die Beatles gerade berühmt geworden sind und die erste Tour in die USA statt findet. Das Besondere dabei ist natürlich, dass wir die Beatles in ihrem Innenleben verstehen können, durch die Linse von Paul McCartneys Pentax SV (vermutlich mit einem Standard-Super-Takumar 55 mm f/1,8). Wir sind also live dabei, wie die Beatles groß und von der Liverpool/Hamburg Band zu der erfolgreichsten Gruppe der Welt werden.

Die Beatles 1963/64

Man muss das musikhistorisch insoweit einordnen, dass die Beatles zu diesem Zeitpunkt erst am Anfang ihres Erfolgs stehen. Bis 1962 spielten sie – mit Unterbrechungen – noch ihre legendären Hamburg Konzerte in den Kellern der Clubs rund um die große Freiheit. Erst im Sommer 1963 brachen die Beatles zu ihrer ersten professionellen Tour auf. Gerade war auch ihr erstes Album „Please Please Me“ erschienen.

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms

Und so heißen die einzelnen Kapitel auch wie die wichtigsten Stationen in dieser Zeit: „Liverpool, London, Paris, New York, Washington D.C. und Miami. Um es vorwegzunehmen, in den wenigen Monaten in dieser Betrachtung ändert sich die Welt der Beatles vollkommen, die Frisuren, die Gestiken und Mimiken und die Welt der Journalisten und Fans um sie herum. Last but not least: Paul vollzieht zumindest in Teilen auch den Wechsel von der Schwarz-Weiß zur Farbfotografie.



Für diesen Bildband habe ich Euch eine Playlist zusammen gestellt, die eine Auswahl der Songs enthält, die die Beatles in den Jahren 1963 und 1964 live gespielt haben. Besonders sind dabei die beiden Opener, bei denen sich die Beatles vorstellen und aus ihrem Song „From Me To You“ ein Opening Theme „From Us To You“ machen.

Als Abschluss habe ich Paul McCartneys Liebeslied an John Lennon in einer Live Version gewählt. Paul hatte es 1981 ein Jahr nach Lennons tragischem Tod geschrieben, sein „I love you“ ist für mich ein bewegendes Stück Musikgeschichte. Außerdem gibt es in diesem Song die Zeilen „What about the night we cried? / Because there wasn′t any reason left to keep it all inside? / Never understood a word / But you were always there with a smile“, und damit einen direkten Bezug zum Bildband. In jener Nacht setzten sich John und Paul mit ihrer Freundschaft auseinander, tranken und weinten in Miami, quasi „im letzten Kapitel“ von „1964: Augen des Sturms“.


Warum die Augen des Sturms? Mir fallen als Erstes vor allem die vielen Aufnahmen auf, die direkt in die Linsen von Fotografen gehalten werden. In sie blickt Paul beim Auslösen immer wieder, selten hat man so viele Aufnahmen von Fotografen gesehen, als Betrachter des Bildbandes blickt man direkt auf fotografierende Männer. Für die Beatles waren sie die Augen des Sturms, ständig verfolgt von rasenden Reportern auf der Jagd nach der Band. Faszinierend, wie Paul den Spieß einfach umdreht und „zurückschießt“.

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms: Doppelseite 132/133

Für mich betreibt er mit seinen Bildern echtes Storytelling, denn ich bin direkt dabei, wie die Beatles den Schritt in die USA wagen, nachdem in England gerade die Beatlemania angefangen hatte. Es gab wohl die Vereinbarung zwischen Band und Manager Epstein, dass sie erst in die USA reisen würden, wenn sie dort einen Nummer 1 Hit gehabt hätten. Als am 1. Februar 1964 mit „I Want To Hold Your Hand“ auf Platz 1 in den Charts einstieg, buchte Epstein direkt die Tickets – so die Legende. Und so landeten die Beatles vor fast genau 60 Jahren in New York. Die Fans rennen den Musikern hinterher, davon zeugt zum Beispiel die Doppelseite 184/185, die Abbildung, die sich auch auf dem Cover befindet.

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms: Doppelseite 184/185

Als Betrachter ist man ist direkt in diesen Monaten direkt dabei. Ob es Fotos aus dem Flugzeug sind, aus den Hotelzimmern oder auch sehr häufig aus dem Auto heraus aufgenommen. Das schon oben erwähnte Doppelbild ist etwa aus dem Taxi heraus fotografiert, direkt in in diesen ersten Tagen auf dem für die Beatles neuen Kontinent. Paul berichtet in seinem Vorwort zum Bildband von regelrechten Verfolgungsjagden, die schließlich auch Inspiration zum kurz darauf erscheinenden Beatles Film „A Hard Days Night“ gegeben haben.

Es sind aber nicht nur die Auseinandersetzungen der Band mit Presse und Fans, die diesen Bildband besonders machen. Paul McCartney zeigt mit seiner USA Reportage auch, dass er ein politischer Beobachter ist. Er thematisiert die im Vergleich zu Europa anderen Lebensumstände, die Unterschiede zwischen USA und England, sehr häufig festgemacht am Umgang mit Waffen, am Geleitschutz sowie an den Sicherheitsmaßnahmen. Man darf nicht vergessen, dass die USA nur kurz davor mit der Ermordung von John F. Kennedy in eine tiefe gesellschaftliche Depression gefallen sind. Und natürlich mitten im Kalten Krieg standen.

So schreibt er unter eine Aufnahme (S. 247), bei der nur ein Revolver mit Patronen um den Körper eines Polizisten zu sehen ist (mal wieder aus dem Auto fotografiert: „Dieser bewaffnete Polizist hielt direkt neben uns, so was hatte ich vorher nie gesehen“.

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms, Seite 247

„1964: Die Augen des Sturms“ ist daher auch ein politisches Buch, die Beatles haben sich für die damaligen Verhältnisse auch sehr klar positioniert: Sie stellen sich gegen die Rassentrennung, gegen Geschlechternachteile und verurteilen klassische Rollen-Stereotype. Stattdessen propagieren sie sexuelle Freiheiten in ihren Songs und ihren Ansprachen. Was sie gerade im prüden Amerika nicht überall willkommen macht. Irgendwie sind sie – neben vielen anderen Protagonist:innen – Wegbereiter der 1968er Bewegung.

Was für Don Draper Hawaii ist, ist für die Beatles Miami

Wenn es einen Bruch in diesem Bildband ist, dann ab Seite 254. Auch wenn das Kapitel „Miami“ schon ein paar Seiten früher beginnt, so sehen wir ab hier Farbaufnahmen und eine viel privatere und gelöstere Seite der Beatles. Wir verfolgen die Band, wie sie am Pool die Sonne genießt, wie sie sich mit Drinks und Zigaretten verwöhnen, ständig umgeben von Frauen. Manche davon sind die Partnerinnen, manche sind Fans. So wie auf den Seiten 300 und 301, auf der wir zwei Aufnahmen einer jungen Frau sehen, Paul schreibt dazu: „Diane Levine, mein Date in Miami. Sternzeichen Zwilling, wie ich. Ich holte Mrs. Levine im Büro ihres Vaters ab, dann fuhren wir zusammen ins Autokino.“

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms: Pauls Date Diane Levine auf den Seiten 300 und 301

Die Tage in Miami erscheinen in diesem Bildband als Verarbeitung der extremen Umständen während der vorherigen Tourtage durch die USA. Und tatsächlich beschreibt Paul, wie er hier in Miami Urlaubsfotografie betreiben wollte und sich für Farbfilm entschieden hatte, den eben niemand ernst nahm (wie erinnern uns an Folge 1 über Fred Herzog, auch Paul McCartney war Kodakchrome Fan). Miami ist auch ein kompletter Gegensatz zu den verregneten Sommern in Liverpool oider Hamburg; ein ganz anderes Urlaubsgefühl macht sich bei den Beatles breit: „Hey, seht mich an. Ich rauche Stuyvesant, fahre einen schicken Wagen. Mir gehört die Stadt“ (S. 230).

Mich erinnert der Beatles Aufenthalt in Miami an Don Drapers Reise nach Hawaii, dort wo sich die legendäre Werbefigur von den Strapazen der Arbeit im New Yorker Büro erholt. Pauls Aufnahmen zeigen eine ähnlichen Look, eine vergleichbare Ästhetik wie die späten Mad Men Folgen, die Hawaii Folge der Season 6 spielt auch nur drei Jahre später im Jahre 1967. By the way: Auch Don ist Beatles Fan, die Szene, in der er „Tomorrow Never Knows“ hört und reflektiert, ist legendär, wenngleich dieser Beatles Song ganz und gar nicht in die hier dokumentierte Zeit 1963/64 passen mag.

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms. Doppelseite 268/269.

Mein Lieblingsbild ist schließlich eine Szene, in der eine Frau im knallgelben Bikini George Harrison einen Drink reicht (Doppelseite 268/269). Ein Abbild des Luxuslebens und der Erholung in Miami. In den Begleittexten beschreibt Paul, wie er die Frau mit Absicht nur im Badeanzug ablichtete, nicht aber das Gesicht der Frau. Und so lässt diese Aufnahme viel Raum für Spekulation, ja, auch sie könnte Teil einer Mad Men Folge sein.

Welche Bedeutung „1964: Augen des Sturms“ hat

Für mich ist „1964: Augen des Sturms“ ein Meisterwerk. Ein Bildband, der mich gefesselt hat. Wirklich stundenlang habe ich in diesem Werk geblättert, die vielen Texte gelesen und – natürlich – nebenher die Beatles gehört. Und ja, Paul McCartney zeigt in diesem Werk, dass er sowohl ein gutes Auge besitzt als auch ein Gespür für die richtigen Momente hat. „1964: Augen des Sturms“ bewegt, ist politisch, aber auch emotional und persönlich. Eine Arbeit, die tiefe Einblicke in die ersten Superstars überhaupt zulässt. Ein Bildband, den ich Euch wärmstens empfehlen kann, auch wenn Ihr keine Beatles Fans sein solltet. Gönnt ihn Euch für 49,90 Euro und legt eine Beatles LP auf (bzw. hört in meine Spotify Playlist hinein).

Noch ein letztes Beispiel gefällig? Auf den Seiten 279-283 finden sich insgesamt sechs Portraits von seinen Bandmitgliedern. Die Serie schließt ab mit zwei gefühlvollen Aufnahmen von John und George, untertitelt mit den Worten: „Ich liebe und vermisse sie beide“ (S. 283).

Paul McCartney - 1964: Augen des Sturms
Paul McCartney – 1964: Augen des Sturms: Seiten 282 und 283.

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4 Gedanken zu „Paul McCartney – „1964: Augen des Sturms“ (Notizen zur Podcast Folge #7 der Fotobuch Plauder Ecke)“

  1. Ein wieder toll geschriebener Blogbeitrag zu einem bemerkenswerten Bildband! Danke, dass Du ihn vorgestellt hast!
    Ich freue mich auf unsere nächste Folge!
    Grüße nach HH
    Thomas

    Antworten
  2. Ich habe diesen Bildband bereits etwas länger und mich fasziniert er ebenso wie dich. Du hast ihn, wie ich finde, wunderbar rezensiert. Danke dafür. Dieser Beitrag hat mich dazu gebracht, den Band aus dem Regal zu nehmen und einmal wieder länger darin abzutauchen.

    Viele Grüße,
    Werner

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