In dieser Folge dreht sich alles um das Thema Reportage – und kaum ein Fotobuch macht deutlicher, wie kraftvoll und relevant fotografische Langzeitbeobachtungen sein können, wie Lauren Greenfields „Generation Wealth“. Um das einzuordnen: Ich stelle in dieser Folge immerhin das „Photography Book of the Year 2017“ vor. Über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren hat Greenfield dokumentiert, wie sehr das Streben nach Reichtum, Status und äußerem Erfolg unsere Gesellschaft und unser Selbstbild prägt.
Die Mischung aus dokumentarischer Fotografie, Popkultur-Ästhetik und gesellschaftskritischer Analyse macht aus meiner Sicht dieses Buch nicht nur zu einem Must-Have für Fotografiebegeisterte, sondern auch zu einem lesenswerten Stück Zeitgeschichte.
Vom Klassenzimmer ins globale Bewusstsein
Der Einstieg ins Buch führt zurück zu Greenfields erstem großen Projekt: Fast Forward. Hier dokumentiert sie Anfang der 1990er Jahre das Aufwachsen von Jugendlichen in L.A., eingebettet in eine Welt aus Luxusmarken, Medieninszenierung und gesellschaftlichen Gegensätzen. Schon hier wird klar: Greenfield ist weniger an voyeuristischen Momenten interessiert als an strukturellen Fragen. Ihre Reportage beleuchtet, wie sich materielle Werte in der Identität junger Menschen verankern.
Reportage als Gesellschaftsspiegel
Mit den Jahren weitet Lauren Greenfield ihren Blick. Sie zeigt Jugendliche im Überfluss – etwa in der ikonischen Szene mit den Cabriolets am Strand – und macht gleichzeitig sichtbar, wie oberflächlich diese Bilder des Erfolgs sind. Ihre Fotografien funktionieren dabei wie Spiegel: Sie zeigen uns, was wir bewundern sollen, und fragen gleichzeitig, warum wir das tun.
Reportage in Langzeitbeobachtung
Ich finde besonders eindrucksvoll, wie Lauren Greenfield über Jahrzehnte an ihrem Thema arbeitet: Sie begleitet Protagonist:innen über Jahrzehnte, kehrt immer wieder zu ihren Themen zurück, verknüpft persönliche Geschichten mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Das Wohnzimmer der „Queen of Versailles“ – überladen mit Geschenken, Dekadenz und Überfluss – ist dabei weit mehr als nur eine Momentaufnahme. Es wird zum Symbol eines Systems, das nie genug bekommt.
Die Bühne des Exzesses
Ein weiterer Strang der Reportage führt ins Nachtleben von Las Vegas. Mit Szenen aus Clubs und VIP-Lounges dokumentiert Lauren Greenfield, wie Reichtum zur Inszenierung wird, zum Spektakel, das vor allem für die Kamera existiert. Dabei bleibt sie stets nüchtern beobachtend: Das Spiel mit der Ästhetik der Popkultur ist bewusst gewählt, um die Widersprüche sichtbar zu machen. Besonders prominent ist die fliegende Tänzerin mit der Champagnerflasche.
Globaler Blick – globale Reportage
Zum Schluss zeigt Generation Wealth wie Reportage sich auch geografisch weiten kann: Von Beverly Hills bis Moskau, von den USA bis nach Asien – überall begegnet Lauren Greenfield denselben Mechanismen. Der Wunsch nach Anerkennung, Statussymbolen und äußerem Glanz verbindet soziale Schichten und Kulturen – immer getrieben von Bildern, die unser Begehren formen.
So findet sich auch die Story von Ilona wieder, einer Fotografin aus Moskau und gleichzeitig Protagonistin des Covers („I’m a luxury“). Wir sehen neben dem Titelbild auch ihr Anwesen und schließlich auf der beeindruckenden Doppelseite 434/435 wie sie vor ihrer Bibliothek posiert. Die dortigen stehenden Bücher sind alle identisch, es handelt sich um die Ausgaben ihres selbstveröffentlichten Buches zum Thema Mode Fotografie.







Fazit
Ich habe Generation Wealth gewählt, weil es für mich ein Paradebeispiel dafür ist, was fotografische Reportage leisten kann. Es ist Analyse, Gesellschaftskritik und visuelles Zeitdokument in einem. Lauren Greenfields Langzeitprojekt zeigt, wie eng das Private und das Politische, das Persönliche und das Strukturelle miteinander verwoben sind. Beim Durchblättern des Buches spüre ich, wie es etwas in mir auslöst. Ich bin irritiert, manchmal sogar wütend. Ich ertappe mich dabei, wie ich urteile über Menschen, die sich maßlosen Luxus leisten und dabei das Leid anderer ausblenden. Doch noch verstörender ist die Erkenntnis, wie viele von uns diesem materialistischen Ideal nacheifern und selbst Teil dieses Systems werden wollen. Gerade weil Greenfield nicht wertet, sondern präzise beobachtet, entfaltet ihr Buch eine Wucht, die in ihrer Dimension und Tiefe Maßstäbe für dokumentarische Fotografie setzt.
Ein paar Worte zum Äußerden, was bei diesem Thema ja noch wichtiger sein könnte: Generation Wealth erschien 2017 bei Phaidon Press, einem der renommiertesten Verlage für Kunst- und Fotobücher. Der Bildband ist großzügig im Format (etwa 25 x 32 cm) und beeindruckt mit 504 Seiten voll farbstarker Fotografien und begleitender Texte. Ein fester goldener Einband, der optisch an Goldbarren erinnert, irgendwie wie ein ironischer Kommentar zum Thema des Buches. Ja, die Verarbeitung ist hochwertig, ich hätte mir aber gut vorstellen können, hier mit mehr „Prunk-Elementen“ protzen zu können.
Formell ist Generation Wealth mehr als nur ein klassischer Fotoband: Essays, Interviews und Bildstrecken fügen sich zu einem dichten visuellen Gesellschaftsporträt. Preislich lag das Buch zur Veröffentlichung 69,90 Euro, mittlerweile ist es aber oft günstiger erhältlich. Ans Herz legen möchte ich Euch auf jeden Fall den gleichnamigen Film von Lauren Greenfield. Sowohl um einen Einblick in die Welt der Reichen zu bekommen als auch aus fotografischer Sicht.
Links zur Folge
- Thomas‘ Wahl zum Thema „Reportage“: W. Eugene Smith
- „Generation Wealth“ bei Amazon (Affiliate)
- Eindrücke der Ausstellung „Generation Wealth“ 2017 in den Hamburger Deichtorhallen
- Der Film „Generation Wealth“ bei Amazon Prime
Weitere Empfehlungen aus der Folge
Folgende Zusatzthemen habe ich in der Sendung angesprochen:
- Leica Welt in Wetzlar
- Robert Lebeck Ausstellung „Hierzulande“ in Rüsselsheim
- Infos zu den Aufstiegsspielen von Altona 93
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