Auch im April gibt es eine neue Folge der Fotobuch Plauder Ecke, dieses Mal zum Thema serielle Fotografie – ein Bereich, den man weit fassen kann. Wenn du zum Beispiel Telefonzellen fotografierst, ist das streng genommen schon serielle Fotografie. Also vereinfacht gesagt: wenn du sammelst. So habe ich das zumindest interpretiert.
Ein echter Sammler ist in diesem Sinne der in Hamburg lebende Fotograf Peter Bialobrzeski. Geboren 1961, aufgewachsen in Wolfsburg. Erst Studium der Politik und Soziologie, dann Fotografie. Er gewann zweimal den World Press Photo Award (2003 und 2010) und wurde 2002 Professor für Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen.
Bekannt ist er durch viele Projekte – viele kennen vermutlich Neon Tigers – und er zählt zu den renommiertesten Fotografen Deutschlands. In dieser Folge stelle ich euch vor, wie Peter Bialobrzeski seit 2013 Städte sammelt. Bislang sind 27 Bücher erschienen, die Städte auf der ganzen Welt abdecken. Insgesamt ist die Serie auf 50 Bände angelegt.

Die City Diaries von Peter Bialobrzeski: Ein Projekt der Konsequenz
Für diese Folge habe ich mir die Ausgaben #1 bis #4 (Kairo, Athen, Wolfsburg und Taipei) aus der Hamburger Bücherhalle ausgeliehen. Die Ausgaben Zürich (#8) und Istanbul (#26) sind aus meinem eigenen Bestand. Schon diese sechs Städte könnten kaum unterschiedlicher sein – und doch eint sie die gleiche fotografische Handschrift.
Die Idee zur Serie entstand 2013 in Kairo, wo Bialobrzeski mit Studierenden unterwegs war. Während diese frühmorgens zum Fotografieren aufbrachen, fühlte er sich irgendwann moralisch verpflichtet mitzugehen – und schoss dort das erste City Diary. Viele weitere Bände entstanden ebenfalls im Kontext von Workshops oder Lehraufenthalten.
Er nimmt sich in der Regel eine Woche Zeit, streift zu Fuß mit Stativ, einer Canon 5D Mark II und einem 35mm Tilt-Shift-Objektiv durch die jeweilige Stadt (so beschrieben in einem Interview von 2018). Meist entstehen die Bilder rund um Sonnenauf- und -untergang – mit einem ganz eigenen „Bialobrzeski-Licht“: ausgewogen, weich, ohne harte Kontraste. In den Fenstern schimmert oft noch ein sanftes Glühen – eine Art Lichtsignatur, die sich durch alle Diaries zieht.
Form, Inhalt, Handschrift
Ab Ausgabe #16 erscheinen die City Diaries bei Hartmann Books: alle im Format 14 × 21 cm, mit 45 Bildern auf 96 Seiten, gedruckt auf Magno Volume Papier, offener Buchrücken, doppelseitiger Bilddruck ohne Rand – was trotz des kleinen Tagebuchformats einen subjektiv großformatigen Eindruck im 4:3-Format erzeugt.
Die früheren Ausgaben (bis #15) erschienen bei The Velvet Cell – dort waren es 52 Bilder auf 112 Seiten, ebenfalls hochwertig, mit leicht verändertem Layout und Papier. Beide Serien zeigen ein hohes Maß an gestalterischer Konsequenz und verlegerischer Sorgfalt.
Alle Bücher eint: Sie zeigen keine touristischen Hotspots. Keine Sehenswürdigkeiten, keine Instagram-Motive. Manch einer mag sie als „trist“ bezeichnen – oder gar als „hässlich“. Ich sehe darin eine bewusst neutrale Annäherung. Ein fotografischer Blick, der nicht wertet, sondern dokumentiert – was in der Summe der Bücher umso stärker wirkt.
Serielle Fotografie als Konzept
Die City Diaries stehen damit in einer Tradition, die über das rein dokumentarische Fotografieren hinausgeht. Serielle Fotografie meint hier nicht nur das Sammeln einzelner Motive, sondern auch die bewusste Entscheidung, durch Wiederholung, Konstanz und Variation eine tiefere Auseinandersetzung mit einem Thema zu schaffen. Peter Bialobrzeski arbeitet dabei fast typologisch – ähnlich wie Bernd und Hilla Becher mit ihren berühmten Industriebauten, nur dass es hier nicht um Einzelobjekte, sondern ganze Stadtbilder geht.







Durch das einheitliche Format, die wiederkehrende Struktur und den konstanten fotografischen Stil entsteht ein Werk, das über die Summe der einzelnen Bücher hinauswächst – wie ein visuelles Archiv des Urbanen im frühen 21. Jahrhundert.
Wahrnehmung im Wandel
Vergleicht man die Städte miteinander, beginnt man, sie anders zu lesen. Zürich wirkt aufgeräumt, streng, fast zu perfekt. Istanbul dagegen viel chaotischer – bis man es mit Taipei vergleicht, und plötzlich die eigene Lesart neu bewerten muss. Über die Kulturen hinweg erkennt man eine konzeptionelle Bildsprache: häufig diagonale Perspektiven, immer wieder große Distanz, oft scheinbar leere Räume.
Hervorheben möchte ich den Band über Wolfsburg – Bialobrzeskis Heimatstadt. Die Reaktionen dort fielen, wenig überraschend, gemischt aus. Vielen waren die Bilder zu kühl, zu distanziert, manche fühlten sich in ihrer Stadt nicht wiedererkannt. Andere wiederum lobten genau diese Nüchternheit, diesen Blick von außen auf das scheinbar Bekannte. Für mich zeigt sich: Wenn der fotografische Zugriff so konsequent ist wie bei den City Diaries, dann provoziert er auch. Und das darf – oder muss – Kunst eben manchmal auch. Gerade weil Bialobrzeski sich nicht an den gängigen Erzählungen einer Stadt abarbeitet, sondern versucht, eine visuelle Essenz herauszufiltern.
Bialobrzeski selbst nennt seine Serie ein „Gegenwartsarchiv“ der heutigen Städtelandschaften, fotografiert mit der visueller Philosophie des 19. Jahrhunderts. Ein bewusster Gegenentwurf zur heutigen Street Photography – keine Momentaufnahme, kein Zufallstreffer, sondern präzise gesetzte Beobachtung.
Ein anderer Bialobrzeski: Give my Regards to Elizabeth
An dieser Stelle möchte ich euch auch noch das Frühwerk „Give my Regards to Elizabeth: Photographs from the U.K.“ vorstellen. Eine echte Reportage-Arbeit, die Bialobrzeski 1993 als Abschlussarbeit angefertigt hat – veröffentlicht wurde sie allerdings erst 2020.

In diesem Buch arbeitet er nah an den Menschen, im Stil von Martin Parr oder Alex Webb. Es ist ein Gegenstück zu den City Diaries, in jeder Hinsicht. Viel dichter, bunter, unruhiger. Wer nur die sachlichen Stadtbilder kennt, wird überrascht sein – und erkennt einmal mehr die unglaubliche Bandbreite dieses Fotografen.
Links zur Folge
- Peter Bialobreski bei Instagram
- Peter Bialobreski bei Wikipedia
- Die City Diaries können im Buchhandel erworben werden. Beispielhaft verlinke ich das gezeigt „Istanbul Diary“ bei Amazon (Affiliate)
- Einen Überblick über die bisher erschienen City Diaries findet Ihr direkt auf der Website des Fotografen
- Verweis auf das Frühwerk von Peter Bialobrzeski: Give my Regards to Elizabeth: Photographs from the U.K. bei Amazon (Affiliate)
Weitere Empfehlungen aus der Folge
Folgende Zusatzthemen habe ich in der Sendung angesprochen:
- Den Artikel zum Napoli Besuch und dem Street Photography Workshop inklusive Francesca Who und auch den Link zum Podcast findet ihr hier
- Thomas hat sich „Union“ von Noel Bowler ausgesucht, das könnt Ihr hier bestellen (Amazon Affiliate) und seine Notizen findet ihr hier
- Buchempfehlung aus dem Hamburger Amateurfußball, u.a. auch mit Bezug zu Altona 93: Ein Hund hätte dem Spiel gutgetan: Reportagen aus der Welt des mittelguten Fußballs Hamburgs und Umgebung bei Amazon (Affiliate)
- Das Halbfinale im Hamburg Pokal zwischen Altona 93 (Oberliga) und Eintracht Norderstedt (Regionalliga) ist inzwischen terminiert. Es wird am 3. Mai um 16 Uhr auf der Adolf Jäger Kampfbahn stattfinden.
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