So kurz vor Weihnachten haben wir uns auf das Thema „Familie“ als Bildband-Thema geeinigt. Thomas hat in der Fotobuch-Plauderecke den Bildband „Vaeterland“ von Gesche Jäger ausgewählt. Schon alleine diese Vorstellung lohnt sich, den Podcast anzuhören – oder sogar anzusehen.
Meine Wahl fiel auf eine Publikation, über die ich diesen Sommer in der Krabbelkiste von „Bildband Berlin“ gestolpert bin – einem exzellenten Laden für Fotobücher im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, den ich euch wärmstens empfehlen kann. Der Titel lautet schlicht „Fotografien“ und stammt von Walter Renz, der 1909 in Stuttgart geboren wurde. Walter wuchs in einer kunstaffinen Familie auf, was seine spätere Laufbahn entscheidend prägte. Als jüngster Sohn des renommierten Malers Alfred Renz wurde ihm die Welt der Ästhetik und Kreativität schon früh nahegebracht. Seine ersten künstlerischen Schritte unternahm er in der Malerei, bevor er an der Kunstgewerbeschule und Kunstakademie Stuttgart studierte. Außerdem arbeitete er als freier Künstler im Familienunternehmen „Renz Rahmen“, das noch bis 1996 in Stuttgart existierte.
Schon in jungen Jahren entwickelte Walter ein tiefes Interesse an visueller Gestaltung, das durch eine Reise mit seinem Vater nach Italien und Sizilien im Jahr 1928 intensiviert wurde. Während sie gemeinsam die mediterranen Landschaften und Stadtansichten malten, entdeckte Renz seine Liebe zur Fotografie – ein Medium, das ihm ermöglichte, Licht und Komposition auf neue Weise zu erkunden. Dieses Interesse vertiefte sich schnell, denn er begann, mit seiner Kamera den Charakter von Landschaften, Städten und Stillleben einzufangen, oft mit einer besonderen Vorliebe für abstrahierte Formen.
Was wir in seinen Bildern sehen, ist die Fotografie von Gegenständen, Vergänglichkeiten und Ruinen – oft auch von Abfall oder Schmutz. Menschen erscheinen dort eher als statische, wenig bewegliche Kulissen. Ganz anders, als wir das beispielsweise von Cartier-Bresson aus unserer August Folge kennen. Ich ziehe diesen Querverweis, weil beide zeitlich parallel fotografierten und weil mir die Häufigkeit von Renz’ Aufnahmen in Frankreich auffällt.
Die Sammlung beginnt mit einem Motiv, das Renz 1952 in London fotografierte. Im Wesentlichen kommen noch Aufnahmen aus Stuttgart und Paris hinzu. Außerdem gibt es fotografische Ausflüge unter anderem nach Tirol und Karlsruhe. Der Bildband umfasst etwa dreißig Jahre seines Schaffens von 1927 bis 1957, doch so richtig will man die Sortierung nicht verstehen. Oft liegen Bilder vor und nach dem Zweiten Weltkrieg direkt nebeneinander – die Zeit des Krieges selbst ist gar nicht abgebildet. Tatsächlich war Renz ein entschiedener Gegner des NS-Regimes. Seine Arbeiten (wohl vor allem seine Holzdrucke und Malereien) galten als „entartete Kunst“. Sehr schnell nach dem Zweiten Weltkrieg durfte er seine Werke wieder ausstellen, auch unter dem Zeichen der Rehabilitation „entarteter“ Kunst.
Walter hatte ein enges Netzwerk in der schwäbischen Szene zu NS-Kritikern wie dem Schriftsteller Helmut Heißenbüttel, der im Bildband „Fotografien“ das Geleitwort schrieb. Auch mit dem Verleger Gerd Hatje, der schon 1945 eine Lizenz zur Gründung eines Verlags (Humanitas) erhielt, stand er in Kontakt. Ab 1947 hieß dieser Verlag Hatje Verlag, in dem 1986 schließlich auch der Bildband „Fotografien“ von Walter Renz erschien. Im Jahr 1990 verkaufte Gerd Hatje seinen Verlag an die Dr. Cantz’sche Druckerei. Seit 1999 ist das Unternehmen unter dem Namen Hatje Cantz Verlag unter Fotograf:innen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Beispielhaft für Renz’ Fotografie ist das Bild einer Bushaltestelle in Stuttgart. In der Einleitung von Helmut Heißenbüttel gibt es eine längere Passage, in der dieses Bild analysiert wird. Ich möchte daraus einen Ausschnitt zitieren:
„Diese menschenleere Sommerszene ist nicht nur durch ihre Schriftzeichen datierbar innerhalb eines relativ engen Jahreskreises, sie ist definierbar auf eine ganz andere, globalere Weise, nämlich als Kreuzungspunkt zwischen dem Anspruch des neunzehnten Jahrhunderts und der schlichten Kargheit einer Einlösung, die sich der steinerne Schiller nie geträumt hatte“.
Es war für mich ein Glücksfall, in der Berliner Krabbelkiste auf Walter Renz zu treffen. Auch wenn er heute wenig bekannt ist, sein künstlerisches Erbe, insbesondere seine Fotografien, zeugt von einem feinen Gespür für Komposition und Licht, das er sowohl in der Malerei als auch in der Fotografie meisterhaft einsetzte. Die Zusammenstellung seiner Aufnahmen im Bildband „Fotografien“ ist besonders vor dem Hintergrund seines Netzwerks mit Künstlern, die im Dritten Reich gemieden und verfolgt wurden, mehr als bemerkenswert. Walter Renz verstarb 1998 in Tecklenburg.
Was hat dieser Bildband denn nun mit dem Thema „Familie“ zu tun?
Nun, es wird euch ziemlich klar sein: Walter und ich tragen denselben Nachnamen. Während „Renz“ im Norden Deutschlands fast exotisch ist (ich werde in Hamburg ständig als „Dr. Renz“ angesprochen – eine Anspielung auf „Fettes Brot“, die sich den Titel wiederum bei „Ein Fall für Zwei“ ausgeliehen haben), ist das im Schwäbischen ganz anders. Daraus jetzt den Schluss zu ziehen, dass Walter Renz und ich verwandt sind, wäre jedoch zu früh.
Dieser Bildband hat mich veranlasst, in meine eigene Familiengeschichte einzutauchen. Dazu habe ich unser Ahnenbuch studiert und Stammbäume durchforstet. Ich habe Bibliotheken besucht, um Spuren von Walter Renz zu finden, und bin auf die oben geschilderten Zusammenhänge gestoßen – sowie auf weitere Quellen aus Kunst- und Kirchenbüchern. Aber ich setze hier einen Cliffhanger: Ihr müsst euch unsere Podcast-Folge anhören! Darin löse ich auf, was es mit Walter Renz, dem Thema „Familie“ und mir auf sich hat …
Links zur Folge „Fotografien“ von Walter Renz
- Das Buch gibt es in diversen Antiquariaten für wenige Euro. Unter anderem auch bei Amazon (Affiliate), hier mit einer falschen Coverangabe.
- Hier findest Du den von Thomas vorgestellten Bildband „Vaeterland“ von Gesche Jäger (Affiliate). Und hier geht es zu Thomas‘ Bericht auf seiner Website.
- In der Wikipedia: Walter Renz und sein Vater Alfred Renz
- Das Geschäft „Bildband Berlin“
- Und hier findet Ihr alle meine Notizen der Fotobuch Plauder Ecke
Den Podcast und die anderen Folgen der Fotobuch Plauder Ecke findest Du bei Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer und allen gängigen Plattformen. Und zusätzlich bei YouTube als Video Podcast. Damit Du keine Folge verpasst, lass gerne ein Abo auf der Plattform Deines Vertrauens da!
Der Artikel über Walter Renz und seine Fotografien bietet einen faszinierenden Einblick in das Schaffen eines bemerkenswerten Künstlers. Die detaillierten Notizen zur Podcast-Folge bereichern das Verständnis seiner Werke und laden dazu ein, sich intensiver mit seiner Fotografie auseinanderzusetzen. Ein inspirierender Beitrag für alle Fotografiebegeisterten!
Habe mir deine Familienstory mit Genuß heute angehört. Großartig!
🙏