Holi in Vrindavan, Barsana und Nandgaon: Indien im Rausch der Farben.

Meine vierte Woche in Indien ist zugleich auch die intensivste Woche. Ausgangspunkt ist die etwa 70.000 Einwohner zählende Stadt Vrindavan, nur knapp 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Delhi. In der Region rund um Vrindavan soll der hinduistische Gott Krishna aufgewachsen sein, dementsprechend wimmelt es hier von Tempeln und von religiösen Stätten, mehr als 5.000 sollen es sein. Die Gegend ist so heilig, dass weder Fleisch, Eier noch Alkohol erlaubt sind. Speisen dürfen auch nicht Zwiebeln oder Knoblauch enthalten, denn diesen wird nachgesagt, dass sie die Libido nähren. Und das sei mit den strengen heiligen Vorschriften nur schwierig in Einklang zu bringen. Die Liebe ist aber auch die Grundlage der wohl wichtigsten Geschichte dieser Region.

An dieser Stelle ein kurzer Werbeblock und ein Hinweis auf mein Buchprojekt „Dear India. A Love Letter in Photographs“ – ein paar Bilder von den Holifesten sind hier auch enthalten. Wenn Du mehr darüber wissen willst, wirf doch mal einen Blick in meinen Shop.

Und ein zweiter Hinweis: Über die Holifeste habe ich im Herbst 2023 einen Vortrag im Rahmen der India Week in Hamburg gehalten. Hier findest Du mehr dazu und auch den direkten Verweis zur YouTube Version dieses Vortrags.

Auch sie handelt vom Gott Krishna, der hoffnungslos in Radha verliebt gewesen war. Denn zu groß waren die Unterschiede zwischen den Beiden, allen voran sichtbar an ihren Hautfarben. Für den dunkelhäutigen jungen Krishna aus Nandgaon war die hellhäutige Radha aus Barsana daher unerreichbar – bis Krishna begann, seine Angebetete und ihre Freundinnen mit Farbe zu bewerfen. Diese wiederum rächten sich und bewarfen Krishna daraufhin ebenfalls mit Farbe. Bis heute wird diese Legende jährlich nachgespielt. Als religiöses Fest, aber auch um Ungleichheiten aufgrund von Herkunft, Glauben oder Kastenzugehörigkeit für ein paar Tage zu vergessen. Die Holifeste ziehen Tausende Menschen an, aus ganz Indien reisen Feierwütige jeden Alters nach Barsana, Nandgaon und Vrindavan. 2023 gehöre auch ich dazu. Bis ich aber in Vrindavan ankomme, habe ich jedoch noch kaum eine Vorstellung davon, was mich in den nächsten Tagen erwarten wird.

Widow Holi in Vrindavan

Eine weitere Besonderheit in Vrindavan sind die vielen Witwen, die nach dem Tod ihrer Männer hierherkommen und ihr Leben Krishna widmen. Nach hinduistischer Tradition dürften Witwen eigentlich nicht Holi feiern, weil es sich dabei um irdische Freuden handele. Seit einigen Jahren hat sich in Vrindavan indes ein eigenes Holifest für die vielen Witwen etabliert. Ich darf beobachten (und fotografieren) wie junge Männer mit beiden Händen in große Plastiksäcke greifen, grellfarbiges Pulver aufnehmen und die Witwen damit beschmeissen.

Es ist ein eigenartiges Bild, wie sich die Frauen mit Farbe beschmeissen lassen, während sie singen und beten. Von allen Richtungen wird die Farbe geworfen und natürlich muss ich ständig darauf acht geben, dass ich nicht eine volle Ladung davon abbekomme.

Ich fotografiere mit der Fuji X100V, also einer Kamera, die relativ unanfällig für Schmutz und Dreck ist, schließlich ist sie spritzwassergeschützt und das Objekitv sitzt fest auf dem Gehäuse. Es kann also eigentlich kein Pulver in die Kamera eindringen und zum Beispiel den Sensor beschmutzen. Die Mikrofoneingänge habe ich vorsorglich mit Tape abgeklebt.

Viel mehr Sorgen bereiten mir die vielen Äffchen, die sich hier und in ganz Vrindavan aufhalten. Eigentlich sind sie lustig anzuschauen, auf der anderen Seite sind sie wirklich gefährlich. Weil sie irgendwann einmal darauf trainiert worden sind, Brillen zu klauen. Und zwar direkt vom Kopf der Menschen, gleich ob es sich um Einheimische oder Tourist:innen handelt. Ihr glaubt es nicht? Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie einer Frau die Brille direkt geklaut wurde, sie hatte keine Chance, der Affe war blitzschnell. Was ich nicht gesehen habe ist das, was mir die Einheimischen hier erzählen: Mit Glück kannst Du die Brille zurück bekommen, wenn Du dem Affen mindestens 50 Rupien in die Krallen drückst. Die Tiere sollen so schlau sein, dass sie es bei weniger Geld nicht machen!

Sieht ganz süß aus, ist aber für Brillenträger wirklich gefährlich.
Sieht ganz süß aus, ist aber für Brillenträger wirklich gefährlich.

Ich will das Risiko nicht eingehen. Und so verlasse ich das Hotel nur ohne Brille, was für mich als durchaus „schwer“ Kurzsichtigen eine echte Herausforderung ist. Nur wenn ich mich sicher fühle, dann hole ich die Brille aus der Tasche. Und setze am Besten direkt die Kamera vor meine Augen. Lieber ein Schleier Farbpulver auf der Linse als eine geklaute Brille. Sicher ist sicher.

Widow Holi in Vrindavan ist aber erst der Auftakt. Denn ich habe damit noch Zeit „zum Üben“. Noch ist es relativ wenig Pulver, von dem ich selbst fast nichts abbekomme. Und noch bleibt es auch beim Pulver. Das wird in Barsana und vor allem in Nandgaon ganz anders werden.

Ladoo Holi in Barsana

Eigentlich ist es eine Fehde zwischen den beiden Dörfern Barsana und Nandgaon, also den beiden Orten, in denen der Legende nach das Liebespaar Radha und Krishna gelebt haben sollen. Den Auftakt der Feierlichkeiten bildet der Tempel von Barsana, in dem zur Mittagszeit von „Ladoo Holi“ begonnen wird, zu tanzen. Es dauert nur wenige Minuten bis ich von irgendwo her die erste Ladung Gulal, also dieses so typische Farbpulver, ins Gesicht geworfen bekomme, ergänzt um den Ruf „Happy Holi“.

Es wird getanzt, was das Zeug hält, die Meute ist wie angezündet und ständig schießt irgendwer wieder eine Farbrakete ab. Unzählige Trommler sorgen für die akustische Untermalung, der Rhythmus ist so eingängig, dass ich mittanzen muss. Und so mische ich mich in die Menge, tanze, fotografiere und bin Teil des Holifestes von Barsana.

Im Laufe des Nachmittags wird die Dance Hall immer voller. Und immer farbiger, ich bekomme allmählich eine Idee davon, wie intensiv diese Feste sind. Man darf nicht vergessen, es ist wirklich heiß und die hohen Temperaturen zehren an den Kräften. Während den Feierlichkeiten werden spirituelle Lieder über Radha und Krishna gesungen und Süßigkeiten in die Menge geworfen. Diese „Ladoos“ sind extrem süß und sollen sehr nahrhaft sein und vor den Nebenwirkungen der Farben schützen. In der Tat fühle ich mich am Abend regelrecht schwindlig und das ganze Pulver macht mir den ganzen Hals ganz taub.

Am frühen Abend wird schließlich die Haupthalle des Tempels geöffnet. Tausende stürmen die Halle und ich merke zum ersten Mal in meinem mehrwöchigen Indienaufenthalt, was die oft zitierten Menschenmassen auf diesem Subkontinent wirklich bedeuten. Hast Du schon mal den Ausdruck der „unberechenbaren Masse“ gehört?

Die "unberechenbare Masse", kurz vor der Öffnung der Haupthalle des Tempels.
Die „unberechenbare Masse“, kurz vor der Öffnung der Haupthalle des Tempels.

Alle wollen gleichzeitig in die Haupthalle des Tempels und so etwas wie Rücksicht existiert nicht. Wenn Du mal in einem Tuktuk, einem Auto oder einem Bus auf den Straßen Indiens unterwegs warst, dann kennst Du das: Alle fahren gleichzeitig in alle Richtungen und das größte und gefährlichste Auto hat in aller Regel Vorfahrt. So ungefähr ist es auch in der Menschenmenge des Ladoo Holifestes. Wer am stärksten drückt, kommt als erstes in den Tempel. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Irgendwie schaffe ich es, mich durch die Absperrungen zu mogeln und das große Finale mitzubekommen. Ich komme dorthin auf die Terrasse, wo eigentlich nur die Presse hindarf. Aber mit meiner Kamera – und noch wichtiger, mit der so professionell aussehenden wasserdichten Abdeckung – bekomme ich den Zutritt, auch weil ich mich frecherweise einfach durch die Absperrung gezwängt habe. Ansonsten würde ich mich schon wieder auf dem Weg hinab vom Tempelberg ins Dorf befinden.

Und tatsächlich sehen wir alle irgendwie gleich aus. Ziemlich rot, aber auch mit viel gelb, grün und violett dekoriert. Es ist nicht nur ausgelassen, nein, was Krishna mit Radha erreicht hatte, klappt auch 2023. Die Unterschiede in der Hautfarbe, aber auch alle anderen Differenzen scheinen wie weggeblasen. Barsana feiert als eine Einheit, jede:r wünscht ein frohes Holifest.

Lathmar Holi in Nandgaon

Nur zehn Kilometer entfernt von Barsana befindet sich Nandgaon. Auch hier ist der direkte Weg zum Holifest der Weg in den Tempel. Nach Ladoo Holi in Barsana wird heute und hier Lathmar Holi gefeiert. Und das geht der Legende nach daraufhin zurück, dass die Freundinnen von Radha Krishna und seine Männer zurück in ihr Dorf „schlagen“ wollten. Und so werden bis heute an Lathmar Holi die Dorfbewohner von den Frauen mit langen Stöcken verhauen.

Davor aber holen sich vor allem die Männer eine ordentliche Portion Farbe ab. Auf dem Tempelberg bleibt es heute nämlich nicht beim Farbpulver. Es wird flüssig und zwar richtig. Eimerweise fliegt farbige Wasserschlieren durch die Gegend und auch dieses Mal dauert es nicht lange, bis ich von oben bis unten farbig-naß bin.

Stundenlang tanzen groß und klein und machen sich gegenseitig nass. Wasserpistolen werde eingesetzt. Irgendwer schafft es, eine Pipeline zu verlegen und einen Brunnen anzuzapfen und mit einem Schlauch direkt in die Menge zu schießen. Dazu wird gebetet, gesungen und ausgelassen gefeiert.

Es ist natürlich viel extremer als Widow Holi in Vrindavan. Aber auch noch einmal eine Steigerung zum Ladoo Holi in Barsana. Denn erstens sind es noch viel mehr Menschen, ganz grob geschätzt sind wir 4.000 Feierwütige, die Location hat etwas von einem Stadion. Ich zähle etwa 20 bis 30 hellhäutige Menschen, soweit ich das angesichts der ganzen Farbe noch richtig einschätzen kann. Zweitens macht die flüssige Farbe das ganze Fest noch ausgelassener. Vielleicht weil ich von oben bis unten farbig bekleckert bin. Immerhin habe ich eine enorme Ladung an pinker Farbe abbekommen und werde sicherlich noch ein paar Tage etwas davon haben. Vielleicht aber auch, weil wir heute noch länger und noch intensiver tanzen. Insgeheim bin ich aber schon froh, dass dies mein letzter Holi Tag ist. Es ist einfach alles viel zu anstrengend. Nein, es ist kein Zuckerschlecken.

Irgendwann bin ich mit meinen Kräften am Ende. Und habe zumindest auch ein paar Fotos schießen können. Denn gerade das Fotografieren ist super anstrengend. Nicht nur, dass ich ständig aufpassen muss, dass die nächste Farbladung nicht direkt auf die Kamera geschossen wird. Nein, ich muss auch dauernd die Linse reinigen, denn sauber und rein bleibt hier nichts. Und in der Luft liegt ständig dieser staubige und doch feuchte Schleier aus Gulal, der so wirkt, wie ein starkes Bildrauschen. Etwas, das wir Fotograf:innen eigentlich so gar nicht mögen.

Was von Holi bleibt?

Zurück im Hotel in Vrindavan sehe ich erst beim Blick in den Spiegel, welch fatale Feier das Holifest in Nandgaon gewesen sein muss. Ich bin völlig pink – von oben bis unten. Würde ich jetzt das Licht im Bad ausmachen, ich würde im Dunkeln leuchten. Und egal wieviele ich schrubbe und reibe, die Farbe will nicht weggehen. Am Schlimmsten ist es an den Füßen, immerhin war ich ja barfuss in diesem Farbenmeer unterwegs.

Es ist eine Erinnerung, die eine ganze Weile bleiben wird, das wird mir nun klar. Und tatsächlich: Dem Zollbeamten am Flughafen in Delhi muss ich ein paar Tage später erklären, warum ich so pink bin. Sein „Happy Holi“ zollt mir Respekt, so viel Emotionalität darf man von indischen Zollbeamten eigentlich nur seltenst erwarten.

Es war eine „Once in a lifetime“-Erfahrung, das könnt Ihr mir glauben. Einmal Holi in Barsana und Nandgaon, das muss für dieses Leben ausreichen. Zu anstrengend und zu intensiv war das Ganze. Aber es war auch unvergesslich. Und mir ist durchaus bewusst, wie exklusiv dieses Erlebnis war.

Während ich etwa eine Woche nach Lathmar Holi diese Zeilen schreibe, sitze ich schon wieder in Hamburg. Kein Witz: Mit einem heißen Fußbad weiche ich meine Füße ein, ich hoffe, dass ich damit die letzten pinken Beweise endlich vernichten kann. Drückt mir die Daumen, dass ich das Gulal auch wirklich wieder losbekomme … 😉

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4 Gedanken zu „Holi in Vrindavan, Barsana und Nandgaon: Indien im Rausch der Farben.“

  1. Mein Gott, Florian! In was für eine Welt bist Du da vorgedrungen! Uns Mitteleuropäern völlig fremd! Beinahe beängstigend! Reist Du ganz alleine? Du traust dich was! Die Fotos zeigen herrliche Eindrücke dieser Welt.
    Dank Dir für diese einmaligen Eindrücke! Den Text habe ich noch nicht ganz gelesen, das tue später in Ruhe.
    Gruß Volker

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    • Herzlichen Dank für Deinen Kommentar, Volker. In der Tat hätte ich mich das alleine nicht getraut. Ich war mit Fotografen aus Indien unterwegs. Ohne jemanden zu haben, der die Sprache spricht und sich vor Ort auskennt, ist das wohl nicht möglich. Viele Grüße, Florian

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  2. Was für Bilder, was für Eindrücke und wie toll geschrieben – auf der einen Seite macht es unglaublich Lust, das einmal zu erleben, auf der anderen Seite weiß ich, dass ich es nie machen werde… aber durch Deine Berichte hat mein ein wenig das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Und ich liebe doch PINK!!!!

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