Die Leica Erlebnistage in Nürnberg 2023

Auf dem Weg von Hamburg nach Süddeutschland habe ich einen Stop in Nürnberg gemacht, hat sich doch die dortige Leica Community für ein paar Tage zu Vorträgen und zum Networking getroffen. Eingeladen hatte der Leica Store Nürnberg zu den „Leica Erlebnistagen“, der Premiere einer Veranstaltung, die von den Veranstaltern inzwischen auch schon für das kommende Jahr angekündigt wurde.

„Den Nürnbergern“ sagt man ja eine ganz besondere Community nach, wohl auch weil die Jungs vom Leica Store um Sebastian Scholz einfach einen ganz besonderen Job machen. Beispielhaft sei der „Donnerstalk“ genannt, ein wöchentlicher Talk zu fotografischen Themen, bei dem jede:r Fotograf:in per Zoom teilnehmen kann (falls Du das nicht kennst, schau Dir mal die bisherigen Talks auf dem YouTube Kanal des Stores an). Nun standen also das erste Mal die Leica Erlebnistage an, drei Tage volles Programm mit Vorträgen von Peter Karbe, Norbert Rosing oder Herbert Piel, um nur drei prominente Namen zu nennen. Ergänzt um ein ausführliches Rahmenprogramm und ziemlich viel Gelegenheiten, über die Fotografie zu schnacken.

Etwa 100 Fotograf:innen aus ganz Deutschland sind der Einladung gefolgt, wobei der ganz große Teil aus der Region gekommen ist; vermutlich hatte ich die weiteste Anreise von allen – das ergab zumindest die Blitzumfrage von Moderator Michel Birnbacher (seinen Leica Enthusiast Podcast zu hören, gebe ich Dir als Pflichthausaufgabe mit!)

Die Vorträge bei den Leica Erlebnistagen

Kernelement waren die Vorträge, ich fand es super, dass jedem Referenten bis zu 90 Minuten angeboten wurden. Das versprach die Aussicht, dass es in den Vorträgen auch wirklich in die Tiefe gehen sollte. Und das war auch ausnahmslos so, ich kann es nicht anders sagen – und ich kenne mich da als wirklich sehr kritisch – das war wirklich fantastisch. Die Vorträge waren inspirierend, unterhaltend, nie belehrend oder langweilig. Und es gab jedes Mal die Möglichkeit für ausreichende Frage- und Antwortduelle. Auch wenn es dann manchmal wie früher in der Schule war und sehr schnell klar wurde, dass immer dieselben wieder nochmal eine Frage stellen würden, es war uneingeschränkt wertvoll.

Es wäre unfair, einen Referenten hervorzuheben, ich würde den Anderen unrecht tun. Und doch will ich vom ersten Vortrag, nämlich von dem von Peter Karbe, etwas ausführlicher berichten.

Was Matthäus 7.6 mit den Leica Linsen zu tun hat …

Peter Karbe ist ehemaliger Leiter der Abteilung Optische Entwicklung der Leica Camera AG und damit eine Art Papst der wunderbaren Objektive. Viele großartige Linsen sind unter seiner Leitung entstanden, viele Leica Fotograf:innen verehren Peter geradezu. Und das zu Recht, schließlich sind seine Rechnungen legendär (hier ein Leica Video zu Peter Karbe). Dass er auch ein exzellenter Referent ist, habe ich am ersten Tag der Erlebnistage in Nürnberg erfahren, wie auch, dass er sein Mantra „Abblenden muss weh tun“ immer wiederholt…

Peter teilt die Linsen grob in vier Generationen ein: Erstens die Schraubleica Linsen, zweitens die ersten M Linsen. Die dritte Generation wird eingeläutet mit den asphärischen Gläsern und den Floating Elements und schließlich bilden die APO Objektive die neueste, die vierte Generation. Während für die beste Abbildungsleistung Leica Linsen der ersten Generation um etwa zwei bis drei Stufen und für die zweite Generation um ein bis zwei Stufen abgeblendet werden sollten, würde das für alle neueren Objektive nicht gelten. Vielmehr gelte hier sein Motte: Arbeitsblende gleich Offenblende.

Anhand von Formeln, Messtafeln und (für mich) ausführlichster Optiklehre erläutert Peter, warum die Blende ein künstlerisches Mittel ist, also nur bewusst abgeblendet werden sollte, wenn die Schärfentiefe wirklich benötigt wird. Er fesselt die Zuhörer mit seinen Powerpoint Folien, aber macht das auf eine unglaublich unterhaltende Art. Glaubt mir, ich habe selten einen so mitreissenden Vortrag gehört, wie den von Peter Karbe bei den Leica Erlebnistagen in Nürnberg. Und er freut sich sogar diebisch über sich selbst, wie er einräumt, dass er bei Makroaufnahmen mit der M10-R auf 5.6 abgeblendet habe.

Schließlich steht auf einer seiner Folien Matthäus 7.6 und richtet sich an sein Publikum, das es doch nicht sein könne, dass er und sein Team offenblendige Objekitve in bester Qualität entwickele und es Käufer gäbe, die ständig abblenden würden:

Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen (Matthäus 7.6 nach der Lutherbibel 2017).

Ach ja, habt Ihr gewusst, dass die Angabe der Entfernungszonen nach Blendenstufen auf den Objektiven nach einer früheren Definition genormt ist? In Zeiten, in denen die Schärfentiefe aufgrund geringerer Kontraststärken auch geringer war? Oder anders gesagt: Heute ist in einem neuen Objektiv ein Freistellungseffekt bei 2.0 höher als bei 2.0 in einem älteren Objektiv. Wie uns Peter erklärt, wurden die Schärfetiefeskalen daraufhin aber nie angepasst, weil sie eben einer älteren Norm entsprechen. Heißt also: Wenn Du Dich zum Beispiel bei der Street Fotografie mit Hilfe des Zonenfokus auf die Angaben auf Deinem Objektiv verlassen willst, solltest Du – sofern es ein modernes (Leica) Objektiv ist – lieber eine Blendenstufe strenger rechnen …

Ein Schnelldurchlauf durch die weiteren Vorträge

Auf Peter Karbe folgt Olaf Wolf, Urgestein bei Leica, bekannt als technischer Außendienstmitarbeiter und vertreten auf wirklich jeder Veranstaltung. In seinem Slot geht es um Produktneuigkeiten und um mögliche Weiterentwicklungen, welche Kameras kommen könnten und welche Wünsche die Fotograf:innen haben. Ein kurzweiliger Vortrag mit vielen Möglichkeiten, Fragen zu stellen. Wenn ich überhaupt einmal kritisch sein möchte, dann hier, schließlich ist es der einzige Vortrag, der an eine Werbeveranstaltung erinnert. Auf der anderen Seite ist das auch völlig legitim, immerhin sind wir ja alle wegen Leica hier. Auch wenn nicht jeder von uns auch ein:e Leica Fotograf:in ist. Hin und wieder huscht auch mal jemand mit einer Fuji oder einer Canon an mir vorbei.

Den Abschluss an Tag 1 macht Maik Kroner mit seiner Schwarzweiss Fotografie, der Jürgen Klopp unter den Fotografierenden. „I am the normal one“ merkt er augenzwinkernd an. Spannend finde ich seine Philosophie seine besten Bilder immer wieder auf Instagram hochzuladen, bis zu fünfmal hätte er das mit seinen Top Shots schon gemacht. Die Philosophie sei klar, auch große Bands würden auf Konzerten nur Top Hits spielen. Daraus entwickelt sich mit dem Publikum eine Diskussion, wie Bruce Springsteen neulich in München eben nicht durch seine Hits geglänzt hätte. Oder wie Herbert Piel seine Fotografie als Gegensatz zu Maiks Fotografie sehe, so quasi „ikonische Fotografie vs. schöne Fotografie“. Das alles in gegenseitiger Wertschätzung und in den besten Tönen. Die Feedbacks sind prima, alle nehmen etwas mit. Und Maik berichtet, wie er nun mit der Leica M11 Monochrom angekommen sei. Überhaupt sind auffällig viele Schwarz-Weiss Fotograf:innen am Start!

Tag zwei startet mit Christof Wolf und seiner Reise- und Portraitfotografie. Er zeigt uns, wie seine Reportagen aufgebaut sind, wie er seine Reisen vorbereitet und wie er vor Ort seine Geschichten findet. Sein Bildstil hat einen klaren Wiederkennungswert und er führt uns unter anderem nach Namibia, Kirgistan, Arizona und in ein einsames Haus nach Schweden. Spannend finde ich auch, dass sein Vortrag nicht aus einer Präsentation besteht, sondern aus in der Mac Software Vorschau einzeln geöffneten Bildern. Es ist lustig zu sehen, wie er immer wieder selbst überrascht ist, welches Bild als nächstes kommt und wie er improvisieren kann.

Auf Christof folgt Herbert Piel, wahrlich eine fotografische Legende. Die Liste, wen er alle begleitet hat, ist lang, sehr lang. Und seine Geschichten fesseln. So wie die Story, wie er mit 16 Jahren im Bademantel den im Krankenhaus im Bett liegenden Helmut Schmidt fotografierte. Oder Willy Brandt bei seiner Fensterrede in Erfurt. Oder die Proteste Brokdorf oder Frankfurt Startbahn West begleitete. Sein weltbekanntes Bild vom Herrnsdorf Attentat. Herbert zuzuhören ist wie ein Buch zur westdeutschen Nachkriegsgeschichte zu lesen. Aber angereichert um wahnsinnig viele tolle Stories und dem Fakt, dass die Bilder alle seine sind. Neben den vielen tollen Inhalten transportiert aber Herbert auch, welche Rolle das „Sehen lernen“ spielt. Und wie wichtig für ein gutes Foto eben auch das Glück ist. Wie man es herausfordert und wie man es suchen muss.

Headliner am heutigen zweiten Tag ist Feyzi Demirel. Er gehört auch zu den Gesichtern dieser Veranstaltung, die man von YouTube kennt. Ich ertappe mich dabei, wie ich ihn grüße, als wären wir alte Bekannte, dabei haben wir noch kein Wort gewechselt, nicht einmal auf den Leica Erlebnistagen habe ich das geschafft. Umso mehr freue ich mich auf seinen Vortrag, kenne ich doch seinen Bildband Istanbul’um, in dem er „seine Stadt“ Istanbul in Schwarz-Weiss portraitiert. Feyzi zeigt nicht nur beeindruckende Aufnahmen, sondern nimmt uns mit auf eine Tour durch Istanbul. Wie ein Reiseführer zeigt er uns, wie er die Stadt sieht und wie sie für Street Fotografen am Besten zu fotografieren ist. Es ist die ganz eigene Melancholie Istanbuls, die er auf ganz besondere Art zu beschreiben weiss – in Worten, aber eben auch in seinen Bildern. Für mich ein ganz besonderer Vortrag, der Lust macht, sofort nach Istanbul zu reisen. Auf den Spuren von Feyzi und von seinem Vorbild Ara Güler.

Am letzten Tag beginnt schließlich Frank Hacker mit dem Thema Fotografie und Künstliche Intelligenz. Und was richtig viel Spaß macht ist, dass wir nicht in der Theorie bleiben, sondern nach einem kurzen Intro uns direkt selbst daran machen, die künstliche Intelligenz auszuprobieren. Mit Midjourney bauen wir live Bilder und fotografieren quasi nach unseren Prompts – sofern das als Fotografie noch durchgehen darf? Und wir nutzen schließlich ChatGPT als Prompt Engeneer, also die eine KI um die andere KI zu füttern. Was bleibt? Die Gewissheit, heute ein richtig gutes Update zum wohl beherrschenden Thema bekommen zu haben, was morgen schon überholt sein könnte.

Krasser könnte der Gegensatz nicht sein. Im letzten Vortrag schafft Leica Legende Norbert Rosing den Stretch von der Künstlichen Intelligenz zur Analog Fotografie. Doch damit nicht genug; in einem waschechten Diavortrag mit zwei Projektoren zeigt Norbert ein Best Of der letzten dreißig (?) Jahre seiner Natur- und Landschaftsfotografie. Ich muss sofort an den großartigen Podcast von den Jungs von ISO 400 denken, Arthur und Flo hätten ihre große Freude an diesem Vortrag gehabt. Es sind wunderbare Bilder von zum Beispiel verschneiten Bäumen im Harz zum Sonnenaufgang, alles auf Film, versteht sich ja von selbst. Norbert zeigt uns hier die Unterschiede zur Digitalfotografie, wie runde Säume um die Sonne eben nicht als „digitaler Kreis“ angezeigt werden, sondern Verläufe entstehen, die so nur in der Filmfotografie möglich seien. Was Herbert Piel für das geschichtliche Gedächtnis für uns ist, ist Norbert für die Tier- und Landschaftsfotografie. Zahlreiche Bildbände, Magazinveröffentlichungen und sogar Briefmarken zieren seine Aufnahmen. Und dazu das beruhigende Klicken des Diaprojektors. Es ist eine beeindruckende Reise in eine andere Zeit.

Was sonst noch so war

Die Vorträge waren Weltklasse, das habe ich versucht, einmal zusammen zu fassen. Aber auch das Rahmenprogramm hatte es in sich. Besuche der Nürnberger Lochgefängnisse, Führungen auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände und das gemütliche Beisammensein. Für ausreichend Programmpunkte hatte das Leica Store Team um Sebastian bestens gesorgt. Im Store selbst gab es Kaffee und Kaltgetränke, viel zu beschnacken und natürlich konnte man sich auch Kameras ausleihen und ausgiebig testen.

Während ich den Vorträgen lauschte, hat meine – durch die vielen Reisen durchaus stark beanspruchte – M10 einen Wellness Aufenthalt bekommen. Klaus Gamber kümmerte sich wirklich liebevoll um meine Leica. Von der Sensorreinigung, über die Außensäuberung bis hin zur Korrektur meine verbogenen Gegenlichtblende. Das war ein Rundum-Wohlfühlprogramm für meine Kamera. Und dabei zuzuschauen, das hat mich wirklich happy gemacht, danke Klaus!

Leica Erlebnistage in Nürnberg 2023
Leica Erlebnistage in Nürnberg 2023: Meine M10 im Wellnessmodus

Und es gab noch diverse Vernissagen. Schon am Donnerstag wurde eine Ausstellung von Jürgen Schadeberg eröffnet, ebenso wie eine Ausstellung von Peter Karbe. Zu Beiden hatte ich es aber leider nicht geschafft. Am Freitag Abend war im Fuji Store (gehört zum Leica Store) die Vernissage von Morten Andresen, ein Street Fotograf aus Oslo.

Ihr seht also, ein wirklich rundum glücklich-machendes Programm. Wunderbar moderiert von Michel, in einer Location die einfach gut ist, weil sie so nach am Leica Store ist. Und einem Organisationsteam, das immer da war, immer super und hilfbereit gewesen ist. Danke für diese wirklich gelungene Auftaktveranstaltung!

Was kann man besser machen? Nicht viel und erst recht nicht daran gemessen, dass es die Premiere war. Aber wie wäre es denn mal, vielleicht auch mal eine oder mehrere weibliche Referentinnen einzuladen? Und vielleicht auch etwas über „neue“ Analogfotografie zu machen? Denn was mir aufgefallen ist, dass das Publikum sehr männlich und auch vermutlich deutlich älter als die deutsche (Fotografie-) Bevölkerung gewesen ist. Lasst mich die Frage erlauben, was man machen könnte, um mehr junge Menschen und mehr Frauen auf solche Veranstaltungen zu locken?

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6 Gedanken zu „Die Leica Erlebnistage in Nürnberg 2023“

  1. Eine schöne Zusammenfassung. Danke, Florian! Ich glaube aber nicht dass der hohe Männeranteil nur ein Thema bei der Leica Veranstaltung war, sondern generell so in der Fotografieszene ist, oder?

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  2. Hallo Florian.
    Durch Recherche zur Fuji X100V bin ich auf Deinen Blog gestoßen. Da haben wir uns wohl in Nürnberg verpasst. Schöne Seite. Kompliment! Einer der wenigen Blogger die nicht nur über Kameras schreiben sondern auch (außergewöhnlich gut!) fotografieren! Ich mag den Stil.
    Die Leica Erlebnistage waren wirklich eine Reise (aus München) wert. Echt klasse was der Sebastian mit seiner Leidenschaft auf die Beine stellt. Leider waren auch viele (Pixelpeeper-Nerds) unter den Leica Jüngern (Ausdruck passt nicht: meist 50+). Ich kann das sagen, weil ich auch zu den alten weißen Männern gehöre.
    Ich habe mich von Jan auf die Warteliste für die Fuji setzen lassen und warte chillig ab!!! Ist ja nicht so das man die Kamera “braucht“!
    Die M-Leicas beschäftigen mich schon lange. Bisher bin ich zu geizig. Aber mit der Zeit werde ich sicher weich.
    Beste Grüße und danke für die guten Beiträge und Fotos.
    Thomas

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    • Hallo Thomas, herzlichen Dank, das ist ein sehr schönes Kompliment, das freut mich sehr 🙂
      Drücke Dir die Daumen, dass Du auf die X100V nicht mehr lange warten musst! Und nächstes Jahr schnacken wir denn bei den Erlebnistagen!
      Viele Grüße und danke,
      Florian

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  3. Nachdem ich Dich auf dem Buchworkshop in Köln und auf den Leica-Tagen in Nürnberg getroffen habe, bin ich auf dem Weg zu Deinem Shop bei den Blogs hängen geblieben. Schwupp, war eine stunde vorbei und ich muss doch noch Texte über Island schreiben… Ich glaube, das sagt alles über diese schöne Website.
    Zum Thema „Fotografinnen“: wir haben in Regensburg eine kleinen Stammtisch mit (je nach Teilnehmerzahl) 30-50% weiblicher Beteiligung. Es geht also auch anders – aber im Mittel hätte ich aufgrund von Workshops etc. auch eher auf 10-20% geschätzt. Schade … Liebe Grüße Stefan

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