Maccabi Tel Aviv vs. Maccabi Haifa
Bloomfield Stadium, Tel Aviv, Nationaler Pokalwettbewerb
Eigentlich war die Pokal-Viertelfinal-Begegnung Maccabi Tel Aviv gegen Maccabi Haifa auf den 29. Dezember terminiert. Am 15.000 Zuschauer fassenden Bloomfield-Stadion angekommen gibt es jedoch keine Anzeichen, dass hier und heute ein Spiel stattfinden könnte. Irgendwie erfahren wir, dass das Spiel kurzfristig um einen Tag verlegt wurde. Grund ist die Trauerfeier der israelischen Spielerlegende Avi Cohen, der ein paar Tage zuvor bei einem Motorradunfall tödlich verunglückt war. Also reisen wir am folgenden Tag erneut zum Stadion.
Was nun passiert, ist wieder genau dasselbe wie am Vortag: keine Fans, keine Autos, keine Zuschauerströme. Es scheint wie verteufelt zu sein…, doch halt…, ein paar Leute sperren den Stadioneingang ab und ein paar wenige Personen dürfen ins Stadion. Wir aber nicht. Weil sich Maccabi Fans vor einigen Wochen deutlich daneben benommen haben, wurde Tel Aviv zu einem Geisterspiel verdonnert, das ausgerechnet heute im Pokal gegen den ewigen Konkurrenten Maccabi Haifa stattfindet. Zutritt hat lediglich die Presse und wir haben natürlich keine Akkreditierung. Klar, wir sind ja auch nicht von der Presse.
Weil wir jedoch für dieses sagenhafte deutsche Fußballmagazin im Internet schreiben, ein bedröppeltes Gesicht aufsetzen und einige fussballwurst.de-Aufkleber (mehr hier) verschenken, gewährt uns der Pressesprecher von Maccabi Tel Aviv Eintritt ins heilige Bloomfield Stadion. Wir erhalten ein Armbändchen, alle wichtigen Infos für Pressevertreter und dürfen im Medienbereich Platz nehmen. Hier schnacken wir mit den Kollegen der schreibenden Zunft (Hauptthema natürlich – wie könnte es anders sein – unser Rekordnationalspieler Lothar Matthäus und sein Engagement bei Maccabi Netanya) und lehnen uns erst einmal zurück. Die Wurst haben wir beim Gang durch den Stadionbauch nämlich auch schon erspäht. Wir warten die Schweigeminute für Avi Cohen ab und schauen uns die ersten Minuten des Spiels an.
Beide Teams kennen wir schon aus der UEFA-Champions League, auch das Stadion ist als Vier-Sterne-Arena hierfür gut geeignet. Gleich vier ehemalige Bundesligalegionäre stehen in den Reihen des Teams von Tel Aviv: Dimitar Rangelov (Energie Cottbus & Borussia Dortmund), Savo Pavićević (Energie Cottbus), Roberto Colautti (Borussia Mönchengladbach) und Gal Albermann (Borussia Mönchengladbach). Weiterhin sind beide Teams mit zahlreichen Nationalspielern bespickt – wir merken, dass wir in Israel sind und hier deutlich höherklassiger Fußball gespielt wird. By the way: Waren die Spiele in der letzten Woche zwar nur wenige Stunden entfernt, haben wir fußballerisch gesehen einen Kontinent gewechselt: Palästina ist Teil der Asian Football Confederation (AFC), Israel seit einigen Jahren Mitglied der europäischen UEFA.
Während sich beide Mannschaften abtasten, mache ich mich auf, die Wurst in Israel zu erkunden. Eine große Imbissstation befindet sich im Bauch des Stadions. Angeboten werden Hühnerwürste im Sesambrötchen und Peperoni mit Humus im Pita Brot. Letzteres ist einer der Klassiker der Middle-East Küche – ich habe in den letzten Wochen beinahe täglich Pita und Humus gehabt – in den seltsamsten Kombinationen mit weiteren Lebensmitteln. Klare Sache, dass ich mich daher für die Wurst entscheide, wenn wir im Ausland nun endlich einen Brätling gesichtet haben!
Es werden dafür zwanzig Schekel fällig, also etwa stolze vier Euro. Der Verkäufer nimmt in geübter Manier die Wurst von der Grillwelle und legt sie in das längliche, mit Sesam bestückte Brötchen. Zur weiteren Verfeinerung des Geschmacks stehen Ketchup und Senf in abgepackten Plastikeinheiten zur Verfügung. Vergeblich sucht der Fußballfan ein Bier zur Wurst, die Zuschauer bleiben in dieser Hinsicht trocken wie die Negev-Wüste. Zehn Schekel (zwei Euro) berappe ich für einen Kaffee – dabei wird einfach heißes Wasser gereicht und dazu eine Portion Kaffeepulver. Die Mischung ist lediglich mit einer Unmenge Zucker genießbar.
Gemessen an mitteleuropäischen Wurststandards gibt es heute nur Mangelware. Da Schweinefleisch mit den hiesigen Gebräuchen nicht vereinbar ist, wurde Hühnerfleisch verwurstet. Das Mahl kommt komplett eingewickelt daher. Immerhin: Die Wurst ist heiß und auch von der Optik her ist klar, dass es sich um eine Wurst handelt, zumindest, was die Form betrifft. Die Farbe indes wirkt mit der orange-roten Coloration unüblich künstlich, auch der Geschmack ist fade.
Wir Wursttester denken als erstes an Sägemehl, als wir den ersten Bissen hinunterschlucken. Die kräftige Garnierung mit Ketchup und Senf lässt den seltsamen Eigengeschmack der Wurst in den Hintergrund treten. Schnell noch den Kaffee hinterher gespült und die Körper sind gesättigt, nicht qualitativ, aber quantitativ. Das ist ja auch schon mal was.
Nachdem die Hühnerwurst vernichtet ist, können wir uns wieder auf das Spiel konzentrieren. Wirklich viel geschieht jedoch nicht. Außer eines schönen Freistoßes von Tel Aviv, der aber daneben geht, ist das Spiel gähnend langweilig. In der zweiten Halbzeit nehme ich davon Notiz, dass ein Geisterspiel-Stadion auch eine kalte Atmosphäre verbreiten kann. Die Temperaturen ziehen an und es sind keine Menschen auf den Nachbarrängen, die etwas vom Windzug auffangen könnten. Geschätzte 300 Personen sind im Stadion, neben uns sind es Presseleute, Angehörige der Spieler, Sicherheitsbeauftragte und diverse israelische Fußballprominenz, die wir nicht kennen. Wir hoffen nur, dass wir nicht in die Verlängerung müssen, und dass eines der beiden Teams endlich ein Tor schießt. Tel Aviv ist am Nächsten dran, versiebt bis zum Abpfiff der regulären Spielzeit aber ein Saisonarsenal an Großchancen.
Es hilft alles nichts: Wir müssen in die Verlängerung. Wahrend sich der Kollege noch auf der Keramik befindet, beginnt die Verlängerung mit einem Paukenschlag: Eine wunderbare Pass-Kombination endet auf dem Kopf des ehemaligen Gladbachers und 20-fachen Nationalspielers von Israel, Roberto Colautti. Er führt den perfekten Kopfball aus und es steht 1:0 für Tel Aviv, zu diesem Zeitpunkt hochverdient. Wir hoffen insgeheim auf den Ausgleich, um zumindest noch ein Elfmeterschießen zu sehen, leider bleibt es aber dabei.
Durchgefroren verabschieden wir uns nach 120 Geisterspielminuten von den Pressekollegen und verlassen das Bloomfield Stadion in Richtung Mittelmeerküste. Was wir noch vorhaben? Wir werden heute Abend sicherlich noch etwas Anständiges essen müssen.
Dieser Text ist eine leicht modifizierte Version aus dem Buch „Auf der Suche nach der perfekten Stadionwurst“ (Infos hier).