Gabal el Mokaper vs. Hebron Youth
Al Bireh Stadium, Ramallah/Westjordanland, Westbank Premier League
Heiligabend in der Doppelstadt Ramallah-Al-Bireh im Westjordanland. Irgendwie habe ich es geschafft, im Innenraum des 7.000 Plätze fassenden Al Bireh International Stadiums Platz nehmen zu können, direkt am Spielfeldrand zwischen den beiden Coaching-Zonen. Den vor mir stehenden Tisch für meinen Notizblock teile ich mit den vier FIFA-Schiedsrichtern und bereits im Vorfeld werden mir von allen Seiten Getränke angeboten, namentlich Kaffee und Wasser. Heute findet ein Spiel der Westbank Premier League statt, der höchsten Spielklasse im von Israel kontrollierten Westjordanland. Die Heimmannschaft stellt das Ostjerusalemer Team Gabal el Mokaper dar, der Gegner ist Hebron Youth. Zwanzig Grad und Sonnenschein erwarten die Fußballfans, die Spieler machen sich bereits auf dem Spielfeld warm und ich wage schon einmal einen Gedanken an die Verpflegung im Stadion. Aber zwischen Brat- und Schinkenwurst zu wählen ist heute wohl nicht drin…
In der Westbank jemanden zu finden, der weiß, wann die Spiele stattfinden, ist so gut wie unmöglich. Nachdem ich mich erst in der jüdischen Neustadt von Jerusalem durchgefragt habe, versuche ich es in der arabischen Altstadt. Auch hier bekomme ich keine verwertbaren Antworten – alle finden aber Bayern München und Franz Beckenbauer super. So entscheide ich mich spontan, den Bus ins zehn Kilometer entfernte Ramallah zu nehmen und dort einfach weiter zu fragen. Ich erkläre, dass ich gerne Fußball im Westjordanland sehen möchte, dass es mir eigentlich egal ist, welches Team spielt und dass ich es für wenig sinnvoll halte, dass es in keiner Zeitung und auf keiner Internet Seite Spielankündigungen gibt.
Die einheitliche Reaktion der sehr freundlichen Palästinenser:innen besteht aus Kopfschütteln und Achselzucken. Als ich innerlich schon aufgegeben habe, treffe ich wie durch ein Wunder in einem Café auf den Präsidenten des ansässigen Fußballvereins von Al Bireh. Er erklärt mir, dass heute ein Spiel stattfindet und vollkommen höchstpersönlich bringt er mich ins Al Bireh International Stadium. Ich reiche ihm einen Aufkleber von fussballwurst.de und antworte, dass dies das „German football online magazine“ ist, für das ich schreibe. Dieser Schachzug öffnet mir alle Türen, und so stehe ich wenige Minuten später auf dem Kunstrasen von Ramallah-Al-Bireh und fachsimpele mit Spielern, Trainern und FIFA-Schiedsrichtern.
Das Stadion ist das Zweitgrößte von Palästina und wurde mit Hilfe von deutschen, französischen, FIFA- und UN-Mitteln erbaut. Es gibt eine Haupttribüne sowie eine Weitere, die sich hinter dem südlichen Tor befindet. Entgegen der offiziellen Angaben ist das Stadion noch nicht fertig gestellt – so hat die israelische Baubehörde die Fertigstellung im Winter letzten Jahres gestoppt – ein angrenzender jüdischer Siedlungsbau ist hierfür wohl die Ursache. Heute soll jedoch nicht über Politik, sondern über Fußball diskutiert werden.
Anstoß (zu diesem dritten Viertel der Saison) ist wie in heimischen Gefilden pünktlich um 15.30 Uhr. Vor geschätzten 1.000 Zuschauern hat das Team aus Hebron in der ersten Viertelstunde deutlich mehr vom Spiel (die ganz in Weiß gekleideten Hebroner erinnern mich etwas an die Königlichen aus Madrid). So ist auch dessen Trainer hochzufrieden mit dem bisherigen Verlauf, er kommt zu mir an meinen Tisch und legt seine Handtasche (nach meinem Einverständnis) bei mir ab. Er erinnert mich an Werner Lorant, ich glaube, es sind die weißen Haare, kombiniert mit der rötlich-weißen Haut, die hier im Westjordanland noch mehr auffallen. Werner und ich sind die einzigen Europäer im Stadion und er schreit in osteuropäischem Englisch andauernd: „Fight, fight, you understand me?”.
Während auf dem Rasen aber kein ansehnliches Spiel zustande kommen möchte, rüsten sich die beiden Fanlager. So etwa 300 von jedem Team mögen es sein, die sich rudelartig auf je einer Seite der Haupttribüne gesammelt haben und mit Trommeln und lauten Gesängen ihre Teams anfeuern. Der Jerusalemer Anhang ist dabei etwas lautstarker – unterstützt durch einen Capo am Megaphon. Bis zur Halbzeit passiert, abgesehen von einem Lattentreffer der Heimmannschaft, aber auch gar nichts. Das Niveau ist eher sechst- denn fünftklassig, einzig das Wetter und die gereichten Getränke heben die Stimmung. Die beiden Trainer sind stinksauer und die Fans schimpfen auf den Schiri – der war bislang aber die einzige Person auf dem Kunstrasen, die Leistung gezeigt hat.
In der Pause schreite ich einmal gemächlich über das Spielfeld und lasse die Impressionen auf mich wirken. Anschließend suche ich die Toiletten auf und werde durch den Kabinengang in die Katakomben des Stadions geleitet. Ich bekomme erst die Traineransprache der Jerusalemer mit und versuche dann, die nach Mekka betenden Spieler möglichst wenig zu stören, als ich die Toiletten suche und schließlich auch finde. Während auf dem Spielfeld jeglicher Komfort FIFA-like ist, werde ich hier daran erinnert, dass ich mich im Westjordanland befinde. Wasser und Strom gibt es nicht. Bevor der Pausentee beendet ist, rauche ich noch eine mit Werner Lorant und bemühe mich dann um die Verpflegung.
Auf jeder Tribünenseite gibt es einen Stand mit diversen Leckereien. Im Angebot sind Nüsse und Körner in allen Variationen. Die aus den arabischen Ländern bekannten Nusskuchen und -riegel liegen ebenso aus wie die aus Spanien bekannten Pipa-Samenkörner, die sich so wunderbar ausspucken lassen. Ebenso sind Kartoffelchips im Angebot.
An meinem Stand – bei den Jerusalemern – herrscht kein Andrang. Das Kind, das die Köstlichkeiten verkauft, scheint kein großes Geschäft zu machen. Ich entscheide mich für einen Erdnussriegel und entledige mich einem Schekel, also etwa zwanzig Cent. Auf die weiter – für denselben Preis – angebotenen Süßgetränke, die alle nach einem Fanta-Verschnitt aussehen, verzichte ich. Denn ich bin am Schiedsrichtertisch bestens mit Getränken versorgt – „all inclusive“ sozusagen.
Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich der Erdnussriegel als einen der mir unbekannten Marke „Tarteer Sweets”. Ich löse die Plastikfolie und verklebe mir bereits bei der Entfernung des Restplastiks die Finger. Noch schlimmer wird es mit dem ersten großen Biss. Es schmeckt zwar nach Nuss, aber in erster Linie erst einmal nur nach „süß”. Um den kleinen Riegel wurden etwa 800 Gramm Karamell angebracht, zumindest stelle ich mir das so vor, als sich die Zuckermengen in allen Ecken meiner Zähne verkleben. Das erfrischende Wasser der Marke „Sama” hilft hier nur wenig, ich werde wohl noch einige Minuten mit der Verpflegung kämpfen, kann mich also guten Gewissens gegen einen weiteren Riegel entscheiden. Sowieso steht hier im Stadion das Spiel im Vordergrund und keiner denkt wirklich ans Essen. Ein Wurststand – zumindest mit Lammwürsten – würde für viel Aufmerksamkeit im Westjordanland sorgen, da bin ich mir sicher. Ob das Geschäft jedoch tatsächlich von Erfolg gekrönt wäre, wage ich zu bezweifeln. Essen und Fußball – das scheint bei den Palästinensern nicht zusammen zu gehören.
Ebenso traurig sieht es bei der spielerischen Qualität aus. Angesichts der katastrophalen Flanken und der schlechten Torschüsse graut es den Zuschauer:innen. Abgesehen von dem in Ansätzen ansehnlichen Kurzpassspiel zeichnen sich beide Teams durch mangelndes Können aus. Die Königlichen aus Hebron werden immer noch schlechter und so macht die Heimmannschaft in der Mitte der zweiten Halbzeit das verdiente 1:0. Hebron kommt zwar zum Ausgleich, dieser wird aber zurecht nicht anerkennt, da der Torhüter attackiert wurde. Auch hier überzeugt der Schiedsrichter einmal mehr – und kommt im ganzen Spiel mit nur drei gelben Karten aus. Als Jerusalem kurz vor Ende das 2:0 markiert, ist Hebron am Boden und Trainer Lorant nicht einmal mehr sauer, sondern nur noch still. Das Arsenal an osteuropäischen Schimpfworten ist verfeuert.
Die Jerusalemer feiern nach Schlusspfiff erst einmal ihre Spieler und legen sich dann noch ordentlich mit der Polizei an. Dabei rennen alle Fans einmal von links nach rechts und die Polizei nimmt die Schlagstöcke in die Hand, um die Meute wieder zurück zu jagen. Währenddessen plaudere ich noch mit dem einen oder anderen Spieler und lasse mir noch Informationen und Kontakte für die weiteren Matches in den nächsten Tagen geben.
Aber es bleibt dabei: Würste kann mir hier im Westjordanland keiner in Aussicht stellen. Ich verabschiede und bedanke mich vielmals und verteile noch einige fussballwurst.de-Sticker. Nur Werner Lorant verschwand wortlos im Mannschaftsbus – eigentlich hätte ich gerne noch eine mit ihm geraucht!
Dieser Text ist eine leicht modifizierte Version aus dem Buch „Auf der Suche nach der perfekten Stadionwurst“ (Infos hier).