Ein Land am Morgen seiner Entdeckung (Teil 2 der Pakistan-Reihe)

Nach den Tagen in den Bergen fällt der Abschied schwer. Vom Nanga Parbat, vom Rakaposhi, von dieser Stille, die nachts nur vom Grollen der Lawinen unterbrochen wird. Mein Körper kommt langsam wieder auf Normalhöhe, der Kopf braucht länger. Aber Pakistan endet nicht am Base Camp. Eigentlich beginnt es erst danach, sich zu öffnen.

Mit jedem Kilometer weg von der hochalpinen Bergwelt rückt ein anderes Pakistan in den Vordergrund. Eines, das nicht weniger intensiv ist, nur lauter. Lebendiger. Menschlicher. Wir sind zwar noch immer in den Bergen, aber eben nicht mehr in der Wildnis.

Im Hunzatal, dem entspannten Norden Pakistans

Wir fahren ins Hunzatal, nach Karimabad. Der Ort liegt wie ein Balkon über der Landschaft, grün und weit. Über allem thront das Baltit Fort, massiv, jahrhundertealt, mit einem Blick über das gesamte Tal bis hin zum Rakaposhi. Hier oben wird klar, wie lange Menschen diese Gegend schon bewohnen – und wie sehr sich das Leben an die Landschaft angepasst hat.

Im Hunzatal verändert sich aber auch die Stimmung spürbar. Alles wirkt entspannter, offener, weniger fordernd als in Minapin, dem Dorf am Rakaposhi, wo wir in den Tagen zuvor unterwegs waren. Dort war das Leben stark von den Bergen geprägt, von Arbeit, von Routinen, von dem, was notwendig ist. Im Hunzatal hingegen scheint mehr Raum zu sein. Für Begegnung. Für Gespräche. Für ein anderes Tempo.

Eis essen im entspannten Hunzatal.

Schon im Hotel fällt mir das auf. An der Rezeption arbeiten Frauen. Selbstbewusst, präsent, selbstverständlich. Es ist kein großes Thema, keine Besonderheit, sondern Teil des Alltags. Auch auf der Straße sehen wir mehr Frauen, die unterwegs sind, einkaufen, lachen, diskutieren. Die Atmosphäre ist offen, fast gelassen. Man spürt, dass Bildung, Geschichte und eine gewisse Wohlhabenheit hier ihre Spuren hinterlassen haben.

Nicht umsonst gilt das Hunzatal als eine der progressiveren Regionen Pakistans. Das merkt man nicht an großen Gesten, sondern an kleinen Details. An Blicken, an Gesprächen, an einer Selbstverständlichkeit im Miteinander. Diese Unterschiede sind subtil, aber sie prägen den Eindruck. Und sie machen deutlich, wie vielfältig Pakistan ist – selbst auf engem Raum. Und es macht die Straßenfotografie natürlich viel einfacher.

Ein Volleyballmatch in Karimabad

Unten im Ort bleibe ich stehen. Ein Volleyballspiel. Zwei „Profi“-Mannschaften duellieren sich, es ist das Ereignis der Woche. Karimabad möchte diesen wichtigen Sieg erringen. Unzählige Zuschauer:innen (fast ausschließlich Männer) stehen am Rand. Es ist ein schönes Gegenstück zum Cricket-Spiel in Tarishing, das ich wenige Tage zuvor nach der Nanga-Parbat-Tour gesehen habe. Die gleiche Leidenschaft. Sport, der überall verbindet. Und doch ein anderes Spiel. Und wieder anders als in den meisten Kulturen, die ich kenne. Denn Fußball spielt hier kaum eine Rolle. Außer in dem einen Moment, als mir ein junger Mann im Toni-Kroos-Trikot der deutschen Nationalmannschaft entgegenkommt. In einer kurzen Unterhaltung erzählt er mir, dass er tatsächlich in der Auswahl seines Bezirks spielt. Wäre er Cricket- oder Volleyballspieler auf diesem Niveau, wäre er vermutlich ein Star. Aber er ist eben – nur – Fußballer.

„Toni Kroos“ aus Karimabad

Das wirtschaftliche Zentrum der Region ist Aliabad. Hier wird es lebendiger. Mehr Verkehr, mehr Stimmen, mehr Staub. Läden, Marktstände, Mopeds. Und doch wirkt nichts aggressiv. Pakistan ist für mich spürbar gechillter als Indien. Weniger Hupen, weniger Gedränge. Aber auch kein „Indien light“ wie Sri Lanka. Es ist eigenständig. Roh. Ungefiltert. Trotz der Nähe zu Indien ist Pakistan ganz anders. Und das liegt nicht nur am Glauben – hier mehrheitlich Muslim:innen, dort mehrheitlich Hinduist:innen. Auch wenn beide Staaten bis 1948 Teil derselben britischen Kolonie waren, sind es heute zwei grundverschiedene Länder. Das ist selbst für mich als Tourist sofort spürbar.

Aliabad
In Aliabad.

Der lange Weg nach Islamabad

Gerne wäre ich noch länger im Hunzatal geblieben, doch in wenigen Tagen geht es schon wieder zurück nach Deutschland, also müssen wir Richtung Süden, Richtung Hauptstadt aufbrechen. Die Fahrt nach Islamabad zieht sich. Stundenlang. Nein, tagelang. Zwei volle Tage sind wir unterwegs. Der Karakorum Highway führt durch Landschaften, die aussehen wie Filmkulissen. Felsen, Flüsse, Dörfer. Alte Männer am Straßenrand. Frauen mit schweren Lasten auf dem Kopf. Kinder, die Ziegen hüten und uns zuwinken. Je weiter wir fahren, desto wärmer wird es, desto dichter der Verkehr. Und desto deutlicher wird: Der Tourismus ist auch hier noch nicht angekommen.

Auf dem Karakorum Highway

Das merkt man auch beim Essen. In den Restautants gibt es kaum vegetarische Gerichte, wenig Auswahl. Viel Fleisch. Denn wenn die Locals essen gehen, dann wollen sie sich auch etwas gönnen. Als Zwischensnacks gibt es dauernd, Nüsse, Kekse und Früchte. Und immer wieder Tee. Touristisch ist Pakistan aber auch herausfordernder aufrgund der sprachlichen Situation – ein weiterer Unterschied zu Indien.Viel weniger Menschen sprechen Englisch. Und es gibt kaum Routine im Umgang mit Reisenden. Aber die Menschen sind offen, neugierig, herzlich. Nicht professionell freundlich, sondern ehrlich interessiert.

Alle paar hundert Kilometer finden strenge Passkontrollen statt, immer wieder müssen Passierzölle entrichtet werden und Kopien von Visa und Ausweis müssen bereit gestellt werden. Die Sicherheitsbestimmungen sind streng, schließlich ist die politische Lage, insbesondere zum östlichen Nachbarn Indien alles andere als stabil.

An einer der Kontrollstationen wird mein Visum geprüft, hier in der Nähe von Skardu.

Irgendwann erreichen wir den Babusar Top. Eine Passhöhe auf rund 4.170 Metern, zu der wir uns mit dem Kleinbus erneut nach oben schrauben. Sie verbindet den Karakorum mit dem westlichen Himalaya und ist für viele Pakistaner:innen selbst ein Reiseziel. Es gibt kleine Stände, einfache Attraktionen, sogar einen Freizeitpark. Familien machen Fotos, Kinder laufen zwischen Fahrgeschäften und Aussichtspunkten hin und her.

Nach Tagen in völliger Abgeschiedenheit wirkt das fast surreal. Dass hier oben ein kleines Riesenrad steht, ist ebenso eigenwillig wie eine Schiffschaukel. Und zugleich sagt es viel über dieses Land: Berge sind hier nicht nur Kulisse für Expeditionen, sondern Teil des Alltags. Orte, an denen man anhält, verweilt, lacht. Auch wenn sie für uns manchmal befremdlich wirken.

Die Schiffschaukel auf dem Babusar Top (4.170 Meter Seehöhe)

Die Hauptstadt Islamabad und das Gegenstück Rawalpindi

Nach zwei Tagen erreichen wir schließlich die Hauptstadt. Islamabad fühlt sich fast wie ein Gegenentwurf zu dem an, was ich bisher gesehen habe. Breite Straßen, klare Raster, Bezirke mit Buchstaben und Zahlen. Alles wirkt geplant, modern, ruhig. Wirklich eintauchen kann man kaum, dafür ist alles zu ordentlich. Beispielhaft dafür steht das Pakistan Monument. Fantastisch zum Erleben (und auch zum Fotografieren) ist die Faisal-Moschee, die Nationalmoschee Pakistans. Sie dominiert die Stadt, gilt als sechstgrößte Moschee der Welt. Monumental. Klare Geometrien. Weißer Marmor. Platz für 74.000 Menschen.

Das Pakistan Monument.

Während Islamabad so aufgeräumt wirkt, ist die nur wenige Kilometer entfernte Zwillingsstadt Rawalpindi das genaue Gegenteil. Hier fühle ich mich sofort wohl. Enge Gassen, Märkte, Geräusche, Bewegung. Alles passiert gleichzeitig. Händler:innen rufen, Mopeds quetschen sich durch Menschen, Kinder spielen, Frauen kaufen ein, Männer sitzen vor ihren Läden. Hier bleibe ich stehen. Schaue. Fotografiere.

Rawalpindi ist ein Eldorado für Street Photography. Ich bin im Flow, auch wenn ich nur drei Stunden Zeit habe. Ich genieße jede Sekunde. Ständig bin ich im Kontakt mit den Menschen, ein Motiv jagt das nächste. Nicht aufdringlich. Nicht heimlich. Die Menschen sehen mich an, ich sehe zurück. Oft ein Lächeln, manchmal ein fragender Blick. Immer mit Respekt. Hier wird mir besonders deutlich: Ich war nicht nur wegen der Berge hier. Ich war auch wegen dieser Begegnungen gekommen. Wegen der Straßen. Wegen der Gesichter.

Komplexität in Rawalpindi
Komplexität in Rawalpindi

Das Licht hilft dabei. Morgens zwischen sechs und neun. Nachmittags zwischen fünfzehn und achtzehn Uhr. Das sind die perfekten Zeiten. Dazwischen ist das Licht gnadenlos hart. Ich versuche, das Gewühl in den Griff zu bekommen. Mehr Ebenen. Mehr Vordergrund. Mehr Geduld. Ein paar Tage habe ich das in Pakistan schon geübt, etwa in Aliabad. Aber hier in Rawalpindi macht es am meisten Spaß. Leider ist es auch schon mein letzter Tag in diesem wunderbaren Land.

Am Abend fahren wir hinauf nach Daman-e-Koh. Ein Aussichtspunkt über Islamabad. Unter uns die Stadt, vor uns die Faisal-Moschee, hell erleuchtet. Es ist ruhig. Der Kreis schließt sich.

Am letzten Abend: Die Faisal-Moschee von Daman-e-Koh aus gesehen.

Ein Land am Morgen seiner Entdeckung

Pakistan hat viele Gesichter. Berge und Städte. Stille und Lärm. Nähe und Distanz. Ich habe nur einen Ausschnitt gesehen. Aber einen ehrlichen. Je länger wir unterwegs waren, desto klarer wurde mir, dass sich Pakistan gerade in einem besonderen Moment befindet. Ein Land, das sich noch nicht erklärt, noch nicht inszeniert, noch nicht angepasst hat. Begegnungen geschehen ungefiltert. Straßen folgen ihren eigenen Regeln. Nichts wirkt gemacht für Besucher:innen, vieles bleibt unbeobachtet.

Vielleicht wird sich das ändern. Vielleicht wird es bald Reiserouten geben, Menüs auf Englisch, feste Bilder davon, wie Pakistan zu sein hat. Aber jetzt, in diesen Tagen, zeigt sich das Land in einer seltenen Offenheit. Nicht als Ziel, sondern als Erfahrung. Und genau deshalb fühlt es sich an wie ein Land am Morgen seiner Entdeckung.

Pakistan gedruckt

Diese zwei Wochen in Pakistan waren für mich so eindrücklich, dass ich aus einigen Aufnahmen ein Magazin gemacht habe. „Pakistan. Ein Land am Morgen seiner Entdeckung“ erscheint heute als Photography Magazine Nummer 3.

Vielleicht erinnert ihr euch an den Einstieg des ersten Berichts, in dem ich geschrieben habe, dass ich niemanden kenne, der schon einmal in Pakistan war. Ein paar Monate nach der Reise geht es mir immer noch so. Genau dieses Gefühl des Unbekannten, dieses Staunen und diese Offenheit haben mich so beschäftigt, dass ich einen Teil der Bilder in eine gedruckte Form bringen wollte.

Für dieses Zine habe ich mich bewusst für die hochwertigste Druck-, Papier- und Bindeausstattung entschieden, die für eine kleine Auflage möglich ist. Es unterscheidet sich deutlich von meinen bisherigen Zines – in der Qualität, in der Haptik und in der Ruhe, die es beim Betrachten zulässt.

Wenn ihr Lust habt, euch auf dieses besondere Land und auf diesen besonderen Moment einzulassen – vielleicht etwas plakativ als den Morgen vor seiner Entdeckung beschrieben – dann schaut gern in meinem Shop vorbei

Wenn Ihr jetzt Lust auf noch mehr Pakistan Bilder und Berichte habt: 2026 werde ich im Leica Store Hamburg in Rahmen der Reihe „Lets talk about…“ über meine Fotografie in Pakistan sprechen. Folgt doch einfach der Veranstaltungsreihe auf Eventbrite, dann bekommt Ihr den genauen Termin als Erste mit!

Dankeschön!

Pakistan ist kein Land, das man einfach so bereist. Zumindest nicht für mich – und ich würde mich durchaus als sehr reiseerfahren bezeichnen. Durchs Nachbarland Iran bin ich auch alleine gereist, aber das hätte ich mich in Pakistan nicht getraut. Zu komplex ist das Zusammenspiel aus Sprache, den vielen Kontrollen im Land und nicht zuletzt der Organisation und Durchführung der Bergtouren.

Wir waren zu fünft unterwegs. Sandra hatte den Kontakt zu Arif geknüpft, einem einheimischen Reiseleiter. Er hat uns vor Ort begleitet und die Touren zum Nanga Parbat und zum Rakaposhi organisiert. Und er hat das mit einer Ruhe, einer Selbstverständlichkeit und einer großen Portion Charisma getan, die diese Reise erst möglich gemacht haben.

Mein großer Dank geht an dich, Arif, für diese außergewöhnliche Tour. Und ebenso an dich, Sandra. Du hast alles im Vorfeld vorbereitet und organisiert, hast uns zusammengebracht und den Weg geebnet. Tausend Dank dafür.

Wenn ihr selbst Lust auf Pakistan habt und einen verlässlichen Kontakt sucht, meldet Euch gern bei mir. Ich stelle den Kontakt zu Arif sehr gerne her.

Bilder zum zweiten Teil der Pakistanreise

Im Folgenden findet Ihr eine Auswahl einiger Pakistan Bilder, die zum zweiten Teil passen, also eher in den Bereich der Portraits- und Straßenaufnahmen passen. Teil 1 findet Ihr hier und im Bericht zur Leica M11 habe ich auch etwas über das Vorgehen geschrieben.

4 Gedanken zu „Ein Land am Morgen seiner Entdeckung (Teil 2 der Pakistan-Reihe)“

  1. Hallo Florian, fantastisch zu lesen! Ich habe nun Lust bekommen auch nach Pakistan zu reisen, habe mich schon auf den zweiten Teil gefreut. Das Magazin ist bestellt. Herzliche Grüße und ein besinnliches Weihnachtsfest! Wolfgang

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  2. Ein toller Bildstil, Florian! Und du schaffst es, ein mir völlig unbekanntes Land zu portraitieren und mir davon eine Vorstellung zu geben. Bin angetan! Liebe Grüße, Ella

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